Staatsbankett zu Ehren von König Charles III. und Königin-Gemahlin Camilla des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 29. März 2023

Der Bundespräsident hat am 29. März bei einem Staatsbankett zu Ehren von König Charles III. und Königin-Gemahlin Camilla des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Unsere deutsch-britische Freundschaft bleibt wichtig, sie bleibt stark. Our friendship is important, and it is strong! Wie tief unsere Verbindung ist, spüren wir gerade in diesen Zeiten. [...] Wenn wir zusammenstehen, gelingt uns jeder Neuanfang."

Bundespräsident Steinmeier spricht während des Staatsbanketts

[…] wie sich Dinge verändern, und wie man in dieser Veränderung das Richtige findet, darüber schreibt Ian McEwan in seinem jüngsten Roman Lektionen. McEwan erzählt darin die Geschichte von Roland Baines, dessen Leben untrennbar mit einschneidenden Ereignissen der Zeitgeschichte verbunden ist. Man reist mit Roland Baines durch die Jahrzehnte, immer auf der Suche nach der Antwort auf die große Frage: Wie geht man mit jenen Veränderungen um, die man nicht in der Hand hat und die doch das eigene Leben prägen?

Liebe Gäste, herzlich willkommen in Schloss Bellevue. Es ist mir eine große persönliche Freude und eine große Ehre, Ihre Majestäten König Charles III. und Königin-Gemahlin Camilla heute anlässlich ihres ersten Staatsbesuchs als Königspaar in Deutschland begrüßen zu dürfen!

Und so wie Ian McEwan seinen Hauptdarsteller durch die Jahrzehnte reisen lässt, möchte auch ich heute Abend mit Ihnen über die großen Fragen der deutsch-britischen Beziehungen sprechen: über Kontinuität in der Veränderung, über Umbrüche und Neuanfang.

Heute ist der 29. März. An eben diesem Tag vor sechs Jahren reichte die britische Regierung ihr Austrittsgesuch bei der Europäischen Union ein. Ich sage Ihnen das ganz offen: Für mich persönlich war das ein trauriger Tag. Und so ging es vielen hierzulande. Nicht wenige befürchteten damals, Deutsche und Briten könnten sich über den Brexit verlieren. Aber das war nicht der Fall. Zu stark sind inzwischen die Verbindungen zwischen unseren Ländern, zu eng die Freundschaften zwischen den Menschen, zu kostbar das Werk der Versöhnung nach zwei Weltkriegen.

Unsere Partnerschaft, sie ist jahrhundertelang gewachsen. Die fortschrittlichen Ideen der Magna Carta und der Bill of Rights, der Einfluss großer Denker wie David Hume und Thomas Hobbes, die Musik von Georg Friedrich Händel oder den Beatles: Seit jeher sind unsere Beziehungen von engen menschlichen Bindungen, von gegenseitiger Inspiration geprägt. Auch der Fußball war eine englische Erfindung, die sich die Deutschen nur allzu gern abgeschaut haben. Auch wenn zwischen uns nicht jedes Spiel ein Freundschaftsspiel ist: Es ist gut, dass Deutsche und Briten Rivalitäten heute allenfalls auf dem Fußballplatz austragen.

Heute stehen unsere Länder als unverzichtbare Partner in fast allen denkbaren Bereichen zusammen, im Bewusstsein unserer Vergangenheit, aber voller Zuversicht, was die Zukunft angeht. So sagten Sie es, Majestät, bei Ihrem letzten Besuch hier in Berlin im Deutschen Bundestag vor etwas mehr als zwei Jahren.

Nichts zeigt diese Verbindung so deutlich, so festlich, wie Ihr Besuch in Deutschland, Majestät, auf Ihrer allerersten Auslandsreise als neuer König überhaupt. Dieser hochsymbolische Besuch ist eine große persönliche Geste Ihrerseits, und dafür danke ich Ihnen, dafür danken alle hier im Saal Ihnen von Herzen!

Am 29. März 2017 begann der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Heute, genau sechs Jahre später, schlagen wir ein neues Kapitel auf. Wir schauen unter veränderten Bedingungen – und doch gemeinsam – nach vorn. Was auch immer vor uns liegt, ich weiß: Unsere deutsch-britische Freundschaft bleibt wichtig, sie bleibt stark. Our friendship is important, and it is strong!

Wie tief unsere Verbindung ist, spüren wir gerade in diesen Zeiten. Der russische Überfall auf die Ukraine, der erste Angriffskrieg auf ein Nachbarland innerhalb Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, hat Erinnerungen an die schlimmsten Zeiten auf unserem Kontinent wiederaufleben lassen. Aber Putins brutales Kalkül ist eben nicht aufgegangen: Er hat Europas Demokratien nicht auseinandertreiben können. Wir, die Verbündeten in der NATO, das Vereinigte Königreich und die EU stehen enger zusammen denn je! Wir helfen den Angegriffenen im Kampf für ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Morgen werden wir in Tegel ein Ankunftszentrum für ukrainische Geflüchtete besuchen, als Zeichen unserer Solidarität - und auch als Zeichen der Dankbarkeit für die große Hilfsbereitschaft und die Anteilnahme, die die Menschen in unseren Ländern zeigen.

Deutschland und das Vereinigte Königreich sind heute, auch militärisch, die beiden größten Unterstützer der Ukraine in Europa. Morgen werden wir gemeinsam mit dem deutsch-britischen Bataillon in Brandenburg zusammentreffen, und erst vor wenigen Tagen habe ich in Estland deutsche und britische Soldaten besucht, die von Estland aus gemeinsam den Luftraum über dem Bündnisgebiet der NATO sichern. Gemeinsam schützen sie die Ostflanke, gemeinsam schützen sie unser Bündnisgebiet, Seite an Seite, side by side, oder besser gesagt: wing by wing.

Gerade nach dem furchtbaren Unheil, das Deutsche in zwei Weltkriegen über den Kontinent gebracht haben, ist alles das keine Selbstverständlichkeit. Ich weiß noch, wie tief bewegt ich war, 2018 als erster deutscher Bundespräsident an der offiziellen britischen Gedenkveranstaltung zum Ende des Ersten Weltkriegs in London teilnehmen zu dürfen und sogar im Gedenkgottesdienst in Westminster Abbey sprechen zu dürfen. Und es hat mir viel bedeutet, dass Sie, Majestät, im November 2020 als erstes Mitglied der britischen Königsfamilie beim Gedenken zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag dabei waren und gesprochen haben. Übermorgen, am Freitag, werden wir gemeinsam in Hamburg der Bombardierung der Stadt im Jahr 1943 gedenken. Achtzig Jahre nach dem Bombenterror deutscher Kampfflugzeuge gegen britische Städte. Welch große Geste der Versöhnung! Aus Feinden von einst sind enge Freunde geworden.

Majestät, das Werk der Versöhnung, die tiefe Freundschaft zwischen unseren Völkern haben wir auch Ihnen und Ihrer Familie zu verdanken. Die Familie Windsor, Ihre Eltern, allen voran Ihre Mutter, die von uns allen zutiefst bewunderte und hoch verehrte Königin Elizabeth II., hat die besondere Verbindung zu unserem Land nie abreißen lassen, sondern immer wieder aufs Neue gepflegt. So wie Sie es heute auch tun. Ihre Familie steht für Kontinuität, für Stabilität. Gerade auch in Zeiten der Veränderung und der Neuanfänge.

Majestät, Sie haben bei unzähligen Gelegenheiten als Botschafter für Aussöhnung, für die Freundschaft zwischen unseren Nationen Ihre Mutter unterstützt. Zu Deutschland haben Sie auch persönlich eine enge Beziehung. Ein Besuch bei Verwandten führte Sie 1962 das erste Mal hierher. Gerade dreizehn Jahre waren Sie damals alt, da betraten Sie deutschen Boden – ganz ohne offiziellen Empfang, ohne Presse, ohne Fotografen. Und doch gibt es davon ein bezauberndes Foto, einen Schnappschuss, der Sie zusammen mit Ihrem Vater, Prinz Philip, bei Ihrer Ankunft damals auf dem Flughafen in Frankfurt zeigt. Ein junger Journalist, damals noch Praktikant, hat das Bild auf dem Rollfeld aufgenommen. Es ist mir eine persönliche Freude, Ihnen gleich dieses Foto als Erinnerung an diesen besonderen Moment nach 61 Jahren als Zeichen der langjährigen Verbundenheit zu unserem Land schenken zu dürfen.

Ich habe es nicht selbst nachgezählt, Majestät, aber inzwischen waren Sie über vierzig Mal in unserem Land – als Prince Charles. Und nun heißen wir Sie wieder herzlich willkommen, zu Ihrem ersten Staatsbesuch als König Charles!

Der 6. Mai, der Tag Ihrer Krönung, steht für einen Neuanfang – und auch für Kontinuität. Für Sie persönlich steht er für neue und noch größere Verantwortung. Für die Britinnen und Briten steht er für eine neue Periode ihrer Monarchie. Für uns hingegen und für die Beziehungen zwischen unseren Ländern steht er für große Kontinuität. Wir knüpfen an an unsere jahrhundertelange Partnerschaft, an die Freundschaft zwischen Deutschen und Briten. Und, verehrte Majestät, an Ihren persönlichen Einsatz für die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

Dass Sie mit Ihrer Frau, Königin-Gemahlin Camilla, noch vor Ihrer Krönung nach Deutschland reisen, ist auch eine starke europäische Geste. Sie bedeutet mir, sie bedeutet uns Deutschen sehr viel. Und wie viel, davon konnten Sie sich heute Nachmittag vor dem Brandenburger Tor schon ganz gut überzeugen: begeisterte Berlinerinnen und Berliner, viele Gäste aus ganz Deutschland, die den Wert Ihres Besuches zu schätzen wissen. Der Tag Ihrer Krönung, er wird ein weiterer guter Tag für die deutsch-britischen Beziehungen sein!

Meine Damen und Herren, wir sind nicht das, was uns widerfährt, sondern das, was wir daraus machen. Das ist die große Lektion der Lektionen von Ian McEwan. So rasant die Veränderungen auch sind - wir stehen ihnen nicht machtlos gegenüber. Wenn wir zusammenstehen, gelingt uns jeder Neuanfang.

Und darum möchte ich nochmals ganz herzlich meinen großen Dank für Ihren Besuch ausdrücken, Majestäten. Gerade auch als Zeichen dieses Zusammenstehens. Ich freue mich sehr auf die kommenden Tage und die zahlreichen Gelegenheiten, die wir in diesen drei Tagen Ihres Staatsbesuchs zum Austausch miteinander haben werden.

Und nun möchte ich Sie bitten, Ihr Glas zu erheben und mit mir auf die Gesundheit Ihrer Majestäten König Charles III. und Königin-Gemahlin Camilla anzustoßen. Und auf Ihr Wohl, liebe Gäste, auf die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern!