Staatsbankett in Rumänien

Schwerpunktthema: Rede

Bukarest/Rumänien, , 24. Mai 2023

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 24. Mai beim Staatsbankett, gegeben vom rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, in Bukarest eine Rede gehalten. "Unsere Freundschaft kann und wird noch tiefer werden – auch deshalb bin ich hier. Diese Freundschaft, sie geht schon heute weit über den Buchstaben von Verträgen hinaus. Sie gründet auf gegenseitigem Vertrauen, auf Respekt, auf dem gemeinsamen Glauben an unsere gemeinsamen europäischen Werte."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht am Redepult und hält eine Ansprache beim Staatsbankett

Es gab Sehnsucht nach etwas, das verloren war, Sehnsucht nach etwas, das sich nicht erfüllt hatte, Sehnsucht danach, etwas zu finden, und manchmal auch danach, etwas zu verlieren.

Diese Sätze stammen aus dem wunderbaren Roman Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff. Die Welt, von der sie erzählt, ist die einer Familie zwischen den Karpaten und dem Banat, über vier Generationen hinweg. Eine Welt, die vielsprachig ist und bis nach Deutschland reicht. Es sind Geschichten von Liebe und Sehnsucht, von Unterdrückung und Flucht, vom Fall des Eisernen Vorhangs und dem Untergang des Sozialismus. Diese Geschichten haben mich beim Lesen sehr berührt, liebe Iris Wolff. Ich freue mich sehr, dass Sie bei diesem Besuch in Rumänien dabei sind, in jenem Land also, in dem Sie geboren wurden, ehe Ihre Eltern mit Ihnen nach Deutschland zogen. Ihr Buch erzählt auf eine sehr poetische Weise, mit einer ganz eigenen Sprache, wie eng unsere beiden Länder miteinander verbunden sind. Und Ihre Biographie erzählt es auch, stellvertretend für viele andere.

Liebe Gäste, ein Jahr ist es erst her, dass ich bei Ihnen hier in Bukarest zu Besuch war, und ich freue mich sehr, dass ich erneut Ihr Gast sein darf. Dieses Mal sogar im Rahmen eines Staatsbesuchs. Lieber verehrter Präsident Johannis, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die Einladung! Es ist ein Besuch bei Freunden, denen wir Deutsche seit Jahrzehnten ganz besonders eng verbunden sind – im vergangenen Jahr konnten wir das 30-jährige Jubiläum des Freundschaftsvertrags zwischen unseren beiden Ländern feiern. Dieses Dokument war die Grundlage dafür, dass unsere Länder heute so eng verbunden sind, und das in allen Bereichen, die auch hier heute Abend vertreten sind: in Wirtschaft, Politik, Kultur. Und ich bin überzeugt: Unsere Freundschaft kann und wird noch tiefer werden – auch deshalb bin ich hier.

Diese Freundschaft, sie geht schon heute weit über den Buchstaben von Verträgen hinaus. Sie gründet auf gegenseitigem Vertrauen, auf Respekt, auf dem gemeinsamen Glauben an unsere gemeinsamen europäischen Werte. Lieber Klaus Johannis, wir kennen uns schon seit vielen Jahren, und ich erinnere mich sehr gern an meinen Besuch – damals noch als Außenminister – bei Ihnen im Jahr 2007, als Sie Bürgermeister von Hermannstadt waren. Damals feierten wir, dass Ihre Heimatstadt europäische Kulturhauptstadt und Ihr Land der Europäischen Union beigetreten war. Auch danach sind wir uns immer wieder begegnet, und unsere Gespräche waren und sind stets von großem Vertrauen und großem Respekt voreinander geprägt. So habe ich es auch heute wieder erlebt. Ich weiß mit Ihnen einen überzeugten Europäer an meiner Seite, und dafür bin ich nicht nur persönlich dankbar, auch wir Deutsche sind es. Für Ihren Kampf für Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden Sie in wenigen Tagen in Frankfurt mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis ausgezeichnet, und dazu will ich Ihnen heute schon sehr herzlich gratulieren!

Wenn ich von Freundschaft spreche, dann meine ich auch die Beziehungen zwischen den Menschen in unseren beiden Ländern. 2015 habe ich in Hermannstadt eine Ausstellung zur Geschichte und Gegenwart der deutschen Minderheit in Rumänien eröffnen dürfen, und auch daran erinnere ich mich sehr gern! Und ich bin stolz, seither Ehrenbürger dieser schönen Stadt zu sein! Was mich immer besonders beeindruckt hat, lieber Klaus Johannis, ist, wie Sie, der Sie selbst deutsche Wurzeln haben, dafür eintreten, deutsche Kultur und deutsche Traditionen zu pflegen. Sie haben sich immer für den Schutz von Minderheiten eingesetzt und sind damit ein leuchtendes Beispiel. Ich weiß auch, dass die Deutschstämmigen bis heute eine ganz wichtige Rolle spielen im kulturellen und politischen Leben hier in Rumänien. Ich freue mich deshalb sehr, morgen erneut Hermannstadt zu besuchen und am Tag danach Temeswar, die faszinierende diesjährige europäische Kulturhauptstadt.

Sie wissen es: Viele junge Rumäninnen und Rumänen kommen nach Deutschland, um dort zu leben und zu arbeiten – unter den Europäern in meinem Land sind sie heute bereits die zweitgrößte Gruppe! Beide, die Deutschstämmigen hier in Rumänien und die Rumäninnen und Rumänen in Deutschland, leben die Freundschaft zwischen unseren Ländern, sie pflegen die engen Bande, die Jahrhunderte zurückreichen.

Als unsere beiden Länder im Jahr 1992 den Freundschaftsvertrag unterzeichneten, war die Welt eine andere. Die Länder im Osten Europas waren im Umbruch, auf dem Weg in eine demokratische Zukunft. Überall gingen die Menschen auf die Straße, um Freiheit und Demokratie zu erringen. In ganz Europa blickten die Menschen mit großem Optimismus nach vorn, auch in meinem Land, das gerade das Glück erlebt hatte, nach Jahrzehnten der Teilung wieder vereint zu sein. Der 24. Februar 2022, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, hat viele unserer Hoffnungen von damals begraben. Dieser Krieg, der so viel Leid und Zerstörung für die Menschen in der Ukraine bringt, dieser Krieg lässt auch Sie hier in Rumänien um Ihre Sicherheit fürchten.

Ein Kalkül von Wladimir Putin aber ist nicht aufgegangen. Angesichts seines verbrecherischen Krieges handeln wir Europäer gemeinsam und vereint, und das verleiht uns neue Stärke, und es gibt uns neue Geschlossenheit. Wir Deutsche unterstützen die Ukraine humanitär, politisch und militärisch, und unsere Unterstützung wird nicht nachlassen. Und weil ich weiß, dass Sie wegen dieses Krieges um Ihre Sicherheit fürchten, möchte ich Ihnen und den Menschen in Ihrem Land als deutscher Bundespräsident heute sagen: Wir stehen fest an Ihrer Seite! Ihre Sicherheit ist unsere Sicherheit! Und wir stehen auch an der Seite Moldaus. Wir sind dankbar, in Ihnen, in Rumänien einen so verlässlichen Partner in der NATO und in der Europäischen Union zu haben. Und gerade weil wir noch einmal ganz neu erfahren, wie wichtig europäische Geschlossenheit ist, unterstützen wir Sie dabei, noch in diesem Jahr voll und ganz dem Schengen-Raum beizutreten.

Ich weiß auch: Ihr Land leistet Herausragendes bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Dafür danke ich Ihnen aus ganzem Herzen. Mich hat es im vergangenen Jahr zutiefst bewegt, hier in Bukarest die Mihai-Viteazul-Schule zu besuchen, die traumatisierte ukrainische Kinder aufgenommen hatte und in der geflüchtete Lehrerinnen aus der Ukraine alles dafür gaben, dass diese Kinder in ukrainischen Spezialklassen unterrichtet werden können. Dieses Mal werde ich ein Hilfszentrum in Temeswar besuchen, und ich bin sehr gespannt zu sehen, wie Geflüchtete aus der Ukraine dort unterstützt werden.

Ich freue mich sehr auf die nächsten beiden Tage in Hermannstadt und Temeswar und die Begegnungen mit den Menschen dort. Ich bin neugierig zu hören, was sie bewegt, was sie sich erhoffen, was ihre Sehnsüchte sind, um noch einmal mit Iris Wolff zu sprechen. Ich danke Ihnen, auch im Namen meiner Delegation, für den herzlichen und so freundlichen Empfang in Ihrem Land. Lieber Klaus Johannis, ich erhebe das Glas auf Ihr Wohl und auf die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern!