Man verbreiterte eine weite Strecke des Strands am Südende der Stadt, reinigte sie von Stein und Tang, ebnete sie mit weißem Sande ein. Man grenzte Anlagen ab, pflanzte Bäume und Büsche, hegte sie vor dem Winde, pflegte Wege. Man vergrößerte die wenigen Gaststätten, forderte die Einwohner auf, den Sommergästen Mietzimmer anzubieten, da alles zu eigenem Nutzen geschähe.
Diese – ziemlich nüchterne – Beschreibung eines aufstrebenden Badeortes stammt von einem Ehrenbürger dieser Stadt: Wilhelm Lehmann beschrieb so vor mehr als neunzig Jahren in seinem Roman Der Provinzlärm
den jungen Tourismus von Eckernförde.
Eigentlich kennen wir den Dichter ganz anders – unter anderem aus seinem Bukolischen Tagebuch
: als einen Natur- und Detailversessenen, einen liebenden Wanderer durch die südschleswigsche Landschaft. Eins aber ist all seinen Texten gemein: Lehmann nimmt sich die Zeit, die Wirklichkeit direkt vor seiner Nase ganz genau zu betrachten. Dies, so finde ich, macht seine Texte so besonders.
Und was mir auch gefällt: Ein klein wenig von diesem Lehmann‘schen Geist steckt auch in der Idee der Ortszeit
, die mich seit gut einem Jahr durchs Land führt. Denn bei der Ortszeit
geht es mir auch darum, hinauszugehen und genau hinzuschauen, mir Zeit zu nehmen und Gelegenheit zu finden, die Perspektive zu wechseln, um andere Lebenswirklichkeiten wahrzunehmen. Das heißt: raus aus Berlin und hinein ins Land – genau dorthin also, wo in Deutschland immer noch die meisten Menschen wohnen, in den eher kleinen Städten und Dörfern. Dorthin reise ich nicht nur, ich verlege meinen Amtssitz für drei Tage von Schloss Bellevue aus Berlin weg ins Land.
Aber, deshalb sind Sie hier, Ortszeit
ist immer auch Ordenszeit. Und dass ich heute hier in der wunderschönen Sankt-Nicolai-Kirche zwölf engagierte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Schleswig-Holstein für ihre Arbeit auszeichnen darf, das macht mir große Freude. Denn Menschen wie Sie, die Sie hier alle in den ersten Reihen sitzen – Menschen wie Sie, mit Ihrer Tatkraft und mit Ihrer Zuversicht, genau solche Menschen brauchen wir! Sie setzen sich für Schwächere ein und für all jene, die Hilfe brauchen. Für junge Mütter und Familien, für sozial benachteiligte Kinder oder auch für Menschen mit Einschränkungen. Ihr Einsatz ist wichtig, er verdient unsere Hochachtung und ist aller Ehren und Orden wert!
Bevor ich Ihr Engagement und Ihre Errungenschaften gleich würdigen darf, erlauben Sie mir noch, Dankeschön zu sagen. Danke für drei wirklich eindrückliche und lehrreiche Tage hier in Eckernförde. Liebe Frau Bürgermeisterin Ploog, ich danke Ihnen nicht nur für die Gastfreundschaft, sondern wirklich von Herzen für die übergroße Herzlichkeit, mit der ich und alle diejenigen, die mit mir aus Berlin gekommen sind, hier empfangen wurden. Und danke sage ich auch allen Bürgerinnen und Bürgern für die vielen interessanten Einblicke und Erfahrungen, für Gespräche, Begegnungen und Gedanken, für Offenheit und Ehrlichkeit. Alles das war hier zu spüren.
Genau diese Offenheit und Ehrlichkeit – und die grundsätzliche Gutwilligkeit anderen gegenüber – brauchen wir als demokratische, offene Gesellschaft mehr denn je. Wir können, davon bin ich überzeugt, die Herausforderungen dieser Tage, die Krisen der Gegenwart und die Aufgaben der Zukunft nur gemeinsam bewältigen, im Respekt voreinander und vor allem mit dem Willen, gemeinsame Lösungen zu finden. Deshalb freue ich mich sehr, dass ich gleich zwei Frauen auszeichnen kann, die sich auch in der Kommunalpolitik engagieren. Ich meine: Unser Land braucht Menschen, die bereit sind, in ihrer Gemeinde oder Stadt oder im Landkreis Verantwortung zu übernehmen; die sich zur Wahl stellen und um Mehrheiten werben. Weil: Demokratie beginnt immer und überall vor Ort. Wenn es keine Bereitschaft gibt, auf der kommunalen Ebene Verantwortung zu übernehmen, dann trocknet Demokratie von unten aus.
Meine Ortszeit
hat mich bisher in acht Bundesländer geführt, und ich habe dabei die Vielfalt der Regionen gespürt, die unser Land um so viele Perspektiven bereichert. Ich freue mich, gleich auch Persönlichkeiten auszuzeichnen, die hier in Schleswig-Holstein die Kultur dieses Landes bewahren und pflegen, von der plattdeutschen Sprache bis zum maritimen Erbe des Stadtviertels, von der Besonderheit des Papiertheaters bis hin zur kommunalen Kulturwoche. Es ist ein Irrtum zu glauben, Kultur sei ein Privileg der Großstädte. Großes entsteht nämlich oft im Kleinen, und genau deshalb ist das lokale kulturelle Engagement, auch die Erinnerungsarbeit, für unser Land so wertvoll.
Vor etwas mehr als einem Jahr hat Russland einen furchtbaren Krieg gegen die Ukraine begonnen und damit das in Trümmer gelegt, für das so viele gearbeitet haben: eine gemeinsame europäische Sicherheitsordnung. Ich erzähle Ihnen das, weil die strategischen Konsequenzen dieses Krieges auch hier in Eckernförde zu spüren sind: Die Bedeutung des Marinestandorts Eckernförde ist wieder gewachsen, die Nordflanke der NATO ist durch den Konflikt – so bitter das ist – noch mehr in unser aller Bewusstsein gerückt. Bei meinen Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten und auch bei der Tauchfahrt mit dem U-Boot habe ich jedenfalls die wirklich hohe Professionalität, die Ernsthaftigkeit und auch die Einsatzfähigkeit der Marine deutlich gesehen und erlebt.
Wir erleben in der Tat eine Zeit des Umbruchs und der Veränderungen, und unser Mut und unsere Entschlossenheit werden im Augenblick in sehr vielen Bereichen auf die Probe gestellt. Das gilt auch für den Kampf gegen den Klimawandel und die damit einhergehenden Veränderungen im Umbau in der Energieversorgung. In Schleswig-Holstein haben Sie hier die Nase ganz weit vorne im Wind – onshore wie offshore. Und ich muss sagen, ich habe das Wort Kraft
in Windkraft
vorhin ganz deutlich gespürt, oben auf der Gondel eines Windkraftwerks.
Hier an der See und zwischen den Meeren haben Sie schon lange ein Gespür für diesen Wind. Und auch für die Weite des Meeres, für die Schönheit dieser Naturgewalt. Die See ist eben viel mehr als nur militärische Nordflanke oder ein Ort für Energiegewinnung – glücklicherweise! Die See, und das wissen Sie, die hier in Eckernförde oder nahe an Ostsee oder Nordsee wohnen, die See ist ein Sehnsuchtsort, ein Erholungsort – und ein Ort, der einem den Blick weitet, wenn man sich nur ein bisschen Zeit dafür nimmt.
Lassen Sie es mich noch einmal mit einem ganz leicht verkürzten Zitat von Wilhelm Lehmann sagen: Wenn hier ein sonniger September glückt, so tausche ich nicht mit der Adria: So hold spielt dann das Licht, so blau wellt dann die Ostsee.
Ich freue mich nun ganz besonders, dass ich Sie, liebe engagierte Bürgerinnen und Bürger hier in der ersten Reihe, mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen darf. Mit diesem Orden bedankt sich unser Land bei Ihnen. Und ihn zu verleihen, gehört wirklich zu den schönsten Aufgaben, die ein Bundespräsident hat.
Liebe künftige Ordensträgerinnen und Ordensträger, Sie haben sich für andere eingesetzt, für das Gemeinwohl engagiert – mit Leidenschaft, Beharrlichkeit und viel, viel Zeit. Sie haben unsere Gesellschaft zu einer besseren gemacht. Und dafür danke ich Ihnen von Herzen. Unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie!