Welche Freude, lieber Gustavo Petro, Sie heute hier in Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen, bei Ihrem ersten Besuch als Staatspräsident in unserem Land. Ich weiß, Sie kommen als Freund und enger Partner, und freundschaftlich und vertrauensvoll war auch das Gespräch, das wir gerade geführt haben. Dafür danke ich Ihnen.
Ihr Heimatland ist zu groß, als dass ich sagen könnte, ich kenne Kolumbien. Aber ich habe Kolumbien mehrfach bereist, und ich war jedes Mal überwältigt von der Gastfreundschaft der Menschen und dem Reichtum und der Schönheit der Natur, ganz besonders bei meiner letzten Reise auf den Spuren von Alexander von Humboldt.
Sie wissen, dass ich den Friedensprozess in Ihrem Land mit viel Hoffnung und Anteilnahme verfolge. Mit dem Friedensabkommen hat Ihr Land Geschichte geschrieben, mit der Einrichtung einer Wahrheitskommission ebenfalls. Auf Ihnen, lieber Gustavo Petro, auf Ihrer Präsidentschaft, ruhen große Erwartungen der Menschen, die sich wohl nichts sehnlicher wünschen als einen dauerhaften Frieden im ganzen Land und eine gerechte Gesellschaft, in der die Wunden der Vergangenheit geheilt werden können. Mein Land unterstützt Sie, unterstützt den Friedensprozess in Ihrem Land, das möchte ich Ihnen heute ausdrücklich versichern.
Eine ganz besondere Freude und auch eine große Ehre ist dieser Tag heute für mich aber noch aus einem anderen Grund. Denn heute vollendet sich eine Geschichte, die mir ganz persönlich sehr am Herzen liegt. Als ich im Jahr 2015 – damals noch in anderer Funktion – zum ersten Mal die Kogi hoch oben in den Bergen der Sierra Nevada besuchen durfte, hatten wir viel Gelegenheit zum Austausch. Ich habe viel gelernt über die Geschichte der Kogi, ihre Traditionen und ihre Lebensweise. Und ich erinnere mich an das Geschenk, das ich zum Abschied bekam: ein Armband, auf dem ein besonderer Segen lag. Ich habe es getragen, bis es sich nach Jahren aufgelöst hat. Bei einem weiteren Treffen mit Kogi-Vertretern im Jahr 2017 in Bogota haben sie das Geschenk erneuert, und wieder habe ich es viele Jahre getragen. Diese Begegnungen sind mir unvergesslich geblieben. Für mich schließt sich heute mit dieser kleinen Feier in Schloss Bellevue ein Kreis.
Diese beiden Masken, die nun länger als ein Jahrhundert hier in Berlin im Museum waren, haben für die Kogi eine große, sakrale Bedeutung. Ich freue mich, dass sie heute an Kolumbien zurückgegeben werden können – zwei Masken, die der damalige Direktor des Völkerkundemuseums in Berlin, Konrad Theodor Preuss, im Jahr 1915 von einem Forschungsaufenthalt nach Berlin mitgebracht hatte. Diese Masken sind für die Kogi heilig, sie sind wichtige Wesen vom Ursprung der Zeit
, so hat es Mama Pedro Juan Noevita einmal gesagt, und ich zitiere: Sie sollten dort sein, wo sie der Natur helfen können, damit diese in Harmonie mit den Kogi und den Menschen ist.
Wie sehr die Kogi in Harmonie mit der Natur leben, das hat mich bei meinem Besuch zutiefst beeindruckt. Und ich bin überzeugt, dass wir, die Menschen in den Industrieländern des Nordens, viel von den Kogi lernen können, wenn es darum geht, unsere Umwelt und unsere natürlichen Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen zu bewahren.
Dass diese Rückgabe hier im Schloss Bellevue möglich wurde, dafür möchte ich Ihnen allen und ganz besonders Ihnen, lieber Herr Professor Parzinger, ganz herzlich danken. Diese Rückgabe ist Teil eines Umdenkens im Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit, ein Prozess, der in vielen europäischen Ländern begonnen hat. Und ich begrüße es, dass Deutschland dabei eine Vorreiterrolle spielt.
Kein Zweifel, ethnologische Sammlungen üben bis heute eine große Faszination auf uns aus. Mit ihnen kommen die Weltkulturen zu uns. Wir lernen das Fremde zu sehen und zu verstehen, ganz wie Alexander von Humboldt sich das vorgestellt hat. Aber uns Europäern stellen sich heute andere Fragen als zu Zeiten von Konrad Theodor Preuss. Wir müssen uns kritisch befragen, auf wessen Schultern die westliche Moderne erbaut wurde, mit welchen Widersprüchen und Ungerechtigkeiten – und welche Folgen das für unsere Welt von heute hat.
Ich bin dankbar, lieber Herr Parzinger, dass Sie diese Fragen nicht nur stellen, sondern gemeinsam mit vielen anderen auch nach Antworten suchen.
Wir wissen heute, dass die Herkunftsgeschichte vieler Kunstwerke und Kultgegenstände noch im Dunklen liegt. Vieles, was in unseren ethnologischen Sammlungen ausgestellt wird, ist direkt oder über Dritte erworben worden. Vieles ist unbekannt. Aber vieles wurde auch geraubt und geplündert, es wurden Menschen unterjocht oder ermordet. Und es wird noch sehr viel Forschung und internationale Zusammenarbeit nötig sein, um die Herkunft einzelner Objekte aufzuklären.
Für all das müssen wir das Gespräch suchen mit den Ländern und Regionen, aus denen diese Artefakte stammen. Es geht dabei nicht in erster Linie um uns Europäer, um unser Selbstverständnis und unsere Verantwortung vor der Geschichte. Sondern es geht um die Zukunft der Welt. Ich bin überzeugt: Nur wenn wir den offenen und kritischen Dialog mit den Völkern des globalen Südens suchen, nur wenn wir uns aktiv von den Denkmustern und Hierarchien der kolonialen Zeit befreien – und viele dieser Denkmuster sitzen tief –, nur dann lösen wir die Probleme, die uns heute als Menschheit gemeinsam gestellt sind. So jedenfalls habe ich jede meiner Begegnungen mit den Kogi in Kolumbien erlebt – sie waren bewegend, lehrreich, Augen-öffnend.
Mein herzlicher Dank geht an alle, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Geschichte der Kogi-Masken heute ein gutes Ende findet. Mögen diese Masken eine gute Reise haben – zurück dorthin, wo sie gebraucht werden, wo sie auch heute noch Brücke sind zwischen Mensch und Natur.