Was für ein wunderbarer Ort, an dem wir heute hier zusammenkommen! Die Meininger Elisabethenburg ist viel mehr als ein ehemaliges Residenzschloss, viel mehr als eine Erinnerung an kleinstaatliche Repräsentation – sie ist heute ein lebendiger und offener Ort mit bemerkenswerten Ausstellungen im größten Museumskomplex Thüringens, mit einem Konzertsaal in der Kirche, mit dem Stadtarchiv und nicht zuletzt mit dem Rathaus. Ich meine, besser, vielfältiger und bürgernäher kann man einen ehemaligen Fürstensitz eigentlich gar nicht nutzen.
Und heute werden wir hier im Marmorsaal noch eine weitere Nutzung hinzufügen: Denn heute ist Ordenszeit!
Vermutlich wurden hier auch früher schon Orden verliehen. Aber damals gingen sie an Höflinge, waren Statussymbol der Eliten oder – ganz besonders schlimm – Belohnung für besonders folgsame Untertanen. Heute dagegen wird ausgezeichnet, wer sich verdient macht um unser Gemeinwesen, wer Verantwortung übernimmt, wer sich um seine Mitbürgerinnen und Mitbürger kümmert und wer Mut zeigt bei der Verteidigung der demokratischen Werte. Unser Verdienstorden ist heute nämlich ein echter Bürgerorden.
Als Bundespräsident ist es für mich eine meiner schönsten Aufgaben, besondere Menschen besonders hervorzuheben und hier auszuzeichnen. Denn der Verdienstorden bietet dem Staat die Möglichkeit, einmal ausdrücklich den Bürgerinnen und Bürgern Danke zu sagen. Danke für etwas, von dem ich weiß, dass es nicht selbstverständlich, aber trotzdem entscheidend ist für unser Miteinander: Wir können nämlich als Gesellschaft nur so gut sein, wie es die vielen Einzelnen sind, die mitmachen und anpacken, um das Leben anderer besser, leichter oder vielleicht auch einfach nur ein bisschen schöner zu machen.
Weil ich diesen Dank sehr gerne auch persönlich überbringe, habe ich eine eigene Tradition begründet: Wenn ich, wie jetzt hier in Meiningen und seit anderthalb Jahren auch in verschiedenen anderen Orten, aufbreche aus der Hauptstadt zur Ortszeit, wenn ich meinen Amtssitz für einige Tage in eine andere Stadt verlege, dann habe ich fast immer auch Auszeichnungen in meinem Reisegepäck. Ortszeit ist auch Ordenszeit!
Ich freue mich sehr, dass ich heute hier in Meiningen Sie, elf ganz außergewöhnliche Thüringerinnen und Thüringer, mit dem Verdienstorden auszeichnen darf. Sie alle heute persönlich kennenzulernen und für Ihre herausragenden Verdienste zu ehren, das ist auch mir eine Ehre.
Ich komme noch einmal auf Schloss Elisabethenburg zurück, das sich ja seit einiger Zeit gemeinsam mit acht anderen Residenzschlössern um die Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe bemüht. Was man an dieser Residenzlandschaft – an Altenburg, Rudolstadt, Gera, auch Coburg – erkennen kann, das hat bis heute durchaus Bedeutung für uns. Die Vielfalt der Regionen, ihr kultureller Pluralismus, das Miteinander der Verschiedenen, das bereichert uns. Denn wo Verschiedenheit zugelassen wird, da haben wir immer auch die Chance auf ganz neue, ganz andere Perspektiven, Ideen und Lösungen.
Sie, liebe künftige Ordensträgerinnen und Ordensträger, kommen aus ganz unterschiedlichen Gegenden in Thüringen: aus Gotha, Weimar oder dem Thüringer Wald. Ihnen muss ich nicht erklären, dass man hier so seine regionalen Eigenheiten hat – was nicht heißen soll, dass man eigen ist! Meiningen, so finde ich, ist ein wunderbares Beispiel dafür: Geographisch liegt die Stadt je nach Perspektive im Süden Thüringens oder im Osten Deutschlands, die Meininger selbst sehen sich allerdings als Franken.
Dass die Meininger aber nicht mit Nabelschau beschäftigt sind, sondern dass man hier weltoffen und am Dialog interessiert ist, das konnte ich in den vergangenen Tagen bei meiner mittlerweile neunten Ortszeit bei vielen Gelegenheiten und Gesprächen in der Stadt und in organisierten Veranstaltungen erfahren. Ich bin Ihnen, liebe Meininger, und Ihnen, lieber Herr Bürgermeister Giesder, für die große Gastfreundschaft sehr dankbar.
Dankbar bin ich für die vielen Gespräche, für die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der hier aufeinander zugegangen und diskutiert wird. Für mich ist es bei diesen Besuchen immer besonders wichtig, genau zuzuhören und hinzuschauen: Wie geht es den Menschen hier? Was beschäftigt die Kommunalpolitikerinnen und -politiker, die Händler und Unternehmer, wie blickt man von hier aus auf die Probleme im Land, und vor allem auf die Debatten in Berlin? Ich möchte wissen, was die Menschen von der Politik erwarten. Ich möchte aber auch wissen, was die Menschen von sich selbst erwarten: Wie blicken Sie hier auf den Wandel, in dem unser Land schon mittendrin steckt, was ist Ihre Rolle, um gemeinsam zu handeln und Zukunft zu bauen.
Ihnen hier in Thüringen muss ich als gebürtiger Westdeutscher nichts darüber erzählen, wie sich Wandel anfühlt. Sie wissen das selbst viel besser. Sie haben hier erlebt, wie sich nach dem Fall der Mauer das ganze Leben veränderte. Darin lagen große Gestaltungschancen, aber eben auch enorme Ungewissheit. Der Fall der Grenze, er wurde für nicht wenige zur Grenzerfahrung. Es beeindruckt mich immer wieder, wenn ich Menschen zuhöre, die ihre ganz eigene Geschichte von diesem Umbruch erzählen.
Darin stecken sehr häufig auch jede Menge Mut, Hoffnungen und Ideen – und die Grundüberzeugung, dass man Dinge schaffen, dass man sich auch bei kontroversen Meinungen zusammenraufen und Kompromisse und Lösungen finden kann. Bei meinen Gesprächen in den vergangenen drei Tagen habe ich viel von dieser Überzeugung, von einem ganz überzeugten Engagement gespürt – egal, ob beim Stadtgespräch oder beim Brotbacken mit den Meininger Jugendlichen, im Theater, bei den Gesprächen auf dem Marktplatz und beim Besuch von verschiedenen Unternehmen.
Sie alle hier, die ich gleich auszeichnen darf, gehören zur lebendigen Bürgergesellschaft, die man in unserem Land glücklicherweise so reichlich findet. Freiwilliges Engagement und Ehrenamt, das sind ganz wichtige Formen der gesellschaftlichen Teilhabe. In Thüringen sind sie besonders ausgeprägt: Die sogenannte Engagementquote, also der Anteil derer, die gesellschaftlich aktiv sind, ist hier nicht nur die höchste in Ostdeutschland, sondern sie liegt inzwischen auch über dem Bundesschnitt!
Ein wichtiger Ort des Engagements, der für unsere Demokratie besondere Bedeutung hat, sind übrigens unsere Gemeinde- und Stadträte. Im kommenden Jahr finden in vielen Ländern Kommunalwahlen statt, auch hier in Thüringen. Bald stellen die Parteien und Wählergruppen ihre Kandidaten auf. Viele ringen darum, dass sich auch junge und jüngere Leute sich wieder vorstellen können, auch in kommunale Verantwortung zu gehen und Verantwortung zu übernehmen.
Sie alle zeigen uns, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt kein wohlfeiles Wort ist, sondern etwas, worauf es ganz konkret im Alltag ankommt. Auch wenn es manchmal nicht leicht ist, auch wenn Sie bei Ihrem Engagement vielleicht sogar manchmal Gegenwind erfahren, auch wenn Wochenende ist oder Sie selber den Kopf voller ganz eigener Sorgen haben: Sie engagieren sich, Sie setzen sich für andere ein, Sie gestalten mit. Sie sind diejenigen, die einfach da sind.
Ich möchte nicht zu sehr vorgreifen auf die Würdigungen, die ich gleich auf jede und jeden Einzelnen von Ihnen halten darf. Aber ich möchte doch ganz kurz umreißen, wie vielfältig, wie wichtig dieses Da-sein
ist: Sie helfen schwerkranken Menschen und ermöglichen ihnen, am Alltagsleben teilzuhaben; Sie retten Menschen in Not oder bewahren sie vor den traurigen Folgen der Einsamkeit; Sie unterstützen junge Menschen – Sie bringen ihnen das Schwimmen bei oder das Theater nahe, Sie helfen ihnen, indem Sie den Eltern helfen; Sie engagieren sich für die Kultur in Ihrem Ort, für die Kommunalpolitik, für den Breitensport, für die Erinnerungskultur und die Landesgeschichte.
Sie alle machen unser Land besser, und Sie stärken den Geist des Miteinanders. Sie sind Vorbilder für andere, und Sie verkörpern mit Ihrem Engagement die Tatkraft, die Zuversicht, den Zusammenhalt, all das, was wir in unserem Land so dringend brauchen. Dafür bin ich Ihnen, liebe künftige Ordensträgerinnen und Ordensträger, von Herzen dankbar.
Ich freue mich, Ihnen nun den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen. Ihnen allen meinen herzlichen Dank für Ihr Engagement!