Alleine essen ist wie alleine sterben
, so sagt ein Sprichwort der Mamprusi in Westafrika. Bitte verzeihen Sie mir den ungewöhnlichen Einstieg – aber der Gedanke, der diesem Sprichwort zugrunde liegt, passt sehr gut zu unserem heutigen Treffen und zum Compact with Africa. Er findet sich auch im Ubuntu in Südafrika, also der Überzeugung, dass es besser ist, Dinge gemeinsam zu tun als alleine; dass der Mensch ist, weil alle Menschen sind
Und ich bin froh, dass wir nach den vergangenen Jahren, als die Covid-19-Pandemie uns geradezu zum "alleine essen" zwang, heute endlich wieder beisammensitzen können. Diese weltweite Gesundheitskrise hat uns vor Augen geführt, wie eng verbunden wir doch miteinander sind. Und das liegt nicht nur daran, dass die großen Herausforderungen, vor denen wir gerade stehen, schon per Definition nicht an Grenzen haltmachen. Europa und Afrika sind in allen Zukunftsfragen unmittelbar aufeinander angewiesen, und wir können diese Herausforderungen nur gemeinsam meistern.
Seit der letzten Compact-with-Africa-Konferenz im Jahr 2021 hat sich die Welt stark verändert. Die großen Umbrüche der vergangenen Jahre, die Pandemie, der sich verschärfende Klimawandel, die Kämpfe in Sudan, die Sahelkrise, das Putschgeschehen in Westafrika, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und aktuell die Folgen des brutalen Terrorangriffs der Hamas auf Israel, alles das macht deutlich: In der internationalen Gemeinschaft müssen die Kräfte zusammenstehen, die bereit sind, die internationale Ordnung zu verteidigen.
Und ich bin überzeugt: Afrika als Kontinent kommt hier eine ganz entscheidende Rolle zu. Wann immer ich bei meinen Reisen in afrikanische Länder mit den Menschen vor Ort gesprochen habe – die Erwartung an uns Deutsche, an die Europäer insgesamt, war immer die gleiche: der Abschied von der klassischen Rollenverteilung zwischen Gebern und Nehmern, an die wir uns in den vergangenen Jahrzehnten allzu sehr gewöhnt haben.
Aber wir müssen uns auch mit der tiefer liegenden Geschichte des Kolonialismus auseinandersetzen. Einer Geschichte, die von Gewalt und Unterdrückung gegenüber der afrikanischen Bevölkerung geprägt war. Dieses Thema war mir zuletzt bei meinem Besuch im tansanischen Songea ein großes Anliegen. Ich konnte dort mit den Nachfahren von Chief Songea sprechen, der in der deutschen Kolonialzeit ermordet worden war, und ich bin sehr dankbar für dieses Treffen.
Ich halte diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für sehr wichtig, denn nur wenn wir uns ihr stellen, ist echte Partnerschaft möglich.
Die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20 auf dem Gipfel in Neu-Delhi war ein entscheidender und längst überfälliger Schritt zu einer solchen echten Partnerschaft. Diese Mitgliedschaft in den G20 sollte gleichzeitig Ansporn sein, nun auch die Vertretung Afrikas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen voranzutreiben. Und ich versichere Ihnen: Deutschland wird Sie dabei nach Kräften unterstützen.
Dass es besser ist, Dinge gemeinsam zu tun als alleine, dass Kooperation ein Mehr an Wohlstand und Sicherheit bringt, dafür steht die Afrikanische Union seit über 20 Jahren. Es lohnt sich, für diese Überzeugung zu arbeiten – auch wenn es oft mühselig und nie abgeschlossen scheint, das kann ich Ihnen aus meinen persönlichen Erfahrungen in der Europäischen Union berichten.
Natürlich: Alle Staaten haben ihre eigenen und oft genug auch gegensätzlichen Interessen. Aber wir wissen: Wir sind stärker, wenn wir gemeinsam handeln. Als regionale Organisationen, wie es zum Beispiel die ECOWAS ganz aktuell in der schwierigen Lage im Sahel tut, aber eben auch als Afrikanische Union und als Europäische Union. Auf der Weltbühne haben wir nur dann Gewicht, wenn wir – wo es geht – für unsere Kontinente mit einer Stimme sprechen. Und mehr noch: wenn wir als Europäische Union und Afrikanische Union gemeinsame Positionen definieren und durchsetzen; wenn wir uns also nicht in Abgrenzung zueinander definieren, sondern durch Gemeinsamkeiten. Das ist meine Hoffnung für diesen Compact with Africa: Lassen Sie uns ein Zeichen setzen gegen die Spaltung der Welt, gegen die Bi-Polarisierung!
Beim Compact with Africa geht es vorrangig um die Stärkung unserer wirtschaftlichen Beziehungen. Sie alle, liebe Gäste, Sie alle eint die Überzeugung, dass Afrika durch Transferleistungen alleine kein nachhaltiges Wachstum erreichen wird. Investitionen der Privatwirtschaft sind unverzichtbarer Bestandteil wirtschaftlicher Entwicklung. Und Unternehmen investieren dort, wo sie gute Chancen sehen. Und dafür brauchen sie Rechts- und Planungssicherheit. Diese Voraussetzungen zu schaffen, sie weiter zu verbessern, liegt natürlich in erster Linie in Ihren Händen. Aber Sie bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen, das ist die Kernidee des Compact with Africa.
Schon heute stammen 40 Prozent der in Afrika getätigten Investitionen aus der Europäischen Union. Und gerade im wichtigen Zukunftsfeld der Erneuerbaren Energien verfügt der afrikanische Kontinent über enormes, bis heute ungenutztes Potenzial. Afrikanische Länder sind nur für vier Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, gleichzeitig leiden sie besonders unter den Folgen des Klimawandels und extremen Wetterereignissen. Ich denke da an die Flutkatastrophe an der nordafrikanischen Küste oder an die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, wie Ostafrika sie gerade erlebt hat.
Dass der Schlüssel zur grünen Transformation auch in Afrika liegt, das ist nicht zuletzt beim ersten Klimagipfel Afrikas im September in Nairobi überdeutlich geworden. Ein Klimagipfel, der auch hier bei uns in Deutschland auf großes Interesse gestoßen ist. Die enormen Potenziale im Bereich Solar- und Windenergie, bei der Nutzung von Erdwärme und bei Rohstoffen, die zum Beispiel in Solarpanels oder Batterien verbaut werden – diese Potenziale machen afrikanische Länder zu einem für uns natürlichen Partner bei der weltweiten Energiewende. Sie, die afrikanischen Länder, haben die Ressourcen, die Möglichkeit und den Willen, eine grüne Industrialisierung Wirklichkeit werden zu lassen.
Europa und Afrika können mehr erreichen, wenn sie bei den großen Zukunftsaufgaben Seite an Seite zusammenarbeiten. Gemeinsam stellen wir über die Hälfte der Länder in der Welt, gemeinsam wäre unsere Stimme nicht zu überhören. Unabhängig davon, in welcher Sprache sie spricht.
Herzlichen Dank für Ihr Kommen!