Veranstaltung des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall zu unternehmerischer Verantwortung

Schwerpunktthema: Rede

Stuttgart, , 26. Februar 2024

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 26. Februar bei einer Veranstaltung des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall zu unternehmerischer Verantwortung in Stuttgart die anwesenden Unternehmen und Gewerkschaften in ihrem Eintreten für die Demokratie und gegen Extremismus bestärkt:"Wir brauchen einen doppelten Schulterschluss: für Demokratie und Wohlstand, gegen Extremismus."

Bundespräsident Steinmeier steht am Rednerpult und spricht, rechts im Bild sieht man das Publikum, im Vordergrund sind unscharf applaudierende Hände zu sehen

Überall, wo Freiheit, Demokratie und Recht herrschen, da sind sie nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie mussten immer erstritten, immer erkämpft, immer verteidigt werden. Aber wem sage ich das! Wer wüsste das besser als Sie, hier im Südwesten unseres Landes, wo der Wille zur Freiheit seit alters her ebenso weit verbreitet ist wie der Erfindergeist und die Freude am Schaffen. Wie schön, Sie alle hier zu sehen!

Unternehmen und Gewerkschaften Seite an Seite, wie es sich für gelebte Sozialpartnerschaft gehört. Partnerschaft in der Verteidigung dessen, was uns gemeinsam ausmacht und was wir nie wieder hergeben werden: die Demokratie! Erneuern wir heute das Bündnis für die demokratische Freiheit, das unserem Land zu Ansehen, Erfolg und Wohlstand verholfen hat. Ich bin froh, heute hier bei Ihnen zu sein. Herzlichen Dank für die Einladung!

Wir alle wissen: Dass unser Land sich zu einer gefestigten, auch international geachteten Demokratie entwickeln konnte, hat viele Gründe: über Jahrzehnte ein hohes Maß an politischer Stabilität, das dichte Netz sozialstaatlicher Sicherung und nicht zuletzt wirtschaftlicher Erfolg. Unternehmerische Freiheit und Verantwortung, Wachstum und Wohlstand, Europa als Gemeinschaft und Gewinn, offene Wege in die Welt für Export und Handel: Das alles hat uns aufleben lassen.

Es hat viele Menschen von der Demokratie überhaupt erst überzeugt, dass sie in ihr ein besseres Leben gefunden haben und viele engagieren sich jeden Tag und arbeiten dafür, dass besser wird, was noch nicht gut ist. Dennoch: Nichts ist auf ewig garantiert. Wir haben nicht vergessen: Schon einmal in unserer Geschichte haben wir eine Demokratie aus der Hand gegeben. Zu wenige, die sie verteidigt haben, zu viele, die den Feinden der Demokratie die Hand gereicht und ihre Spendenkonten gefüllt haben.

Wir kennen die Folgen: Nie wieder dürfen wir so etwas geschehen lassen. Der Schwur des „Nie wieder!“ ist tief eingeschrieben in unser Grundgesetz. Und: Es ist die Überzeugung der großen Mehrheit unseres Volkes. Gewerkschaften und Verbände der Wirtschaft, Unternehmer und Betriebsräte haben sich zu der Verantwortung unseres Landes aus der Geschichte bekannt. Und dieses Bekenntnis bekräftigen Sie heute!

Ich freue mich sehr darüber, dass Sie die Bellevue-Erklärung von BDA und DGB für unternehmerische Verantwortung und gegen Rechtsextremismus vom 29. Januar sofort aufgegriffen haben und Sie motiviert hat, ein eigenes unübersehbares Zeichen zu setzen. Eine Selbstverpflichtung der Unternehmen, zusammen mit den Gewerkschaften: für Demokratie, Freiheit und Recht, für Integration und Toleranz, für eine gerechte und in Verschiedenheit verbundene Gesellschaft – und ein Zeichen gegen Ausgrenzung, gegen nationale Abschottung, Extremismus und Antisemitismus.

Ich freue mich darüber, wie schnell es Ihnen gelungen ist, eine so beeindruckende Anzahl von wichtigen Verantwortungsträgern zu versammeln. Dafür haben Sie meinen Respekt und meine Hochachtung. Und ich danke Ihnen dafür! Auch weil auf unseren Straßen im Augenblick manches aus den Fugen gerät. Ich sage deutlich: Dort wo mit Blockaden Veranstaltungen verhindert werden, wo Politiker persönlich bedroht, wo der demokratische Dialog nicht gesucht, sondern unmöglich gemacht wird, da leisten die Akteure keinen Beitrag zur Demokratie! Im Gegenteil: Da beschädigen wir eine politische Kultur, die uns ausgezeichnet hat. Deswegen appelliere ich dringend: Besinnt euch, kehrt um, das ist der falsche Weg.

Ein zweites will ich ganz deutlich sagen: Das Engagement für unsere liberale Demokratie unterscheidet nicht nach konservativen, liberalen oder sozialen Demokraten. Sie alle gehören dazu. Sie alle werden gebraucht. In dieser Frage sind wir vereint oder sollten es sein. Das Bündnis für die Demokratie muss breit sein, wenn es stark sein soll. Es geht ganz konkret gegen rechtsextrem, gegen Verfassungsfeinde, denen Menschenwürde nichts gilt. Es geht darum, eine klare Grenze zu ziehen zwischen den Demokraten und denen, die Demokratie verachten und angreifen. Diese Grenze müssen wir wirklich scharf ziehen.

Dieses Signal einer breiten Allianz aller Demokratinnen und Demokraten müssen wir weiter tragen. So wie hunderttausende Bürgerinnen und Bürger es seit Wochen tun, bei den Demonstrationen für unsere Demokratie, für unsere Republik. Die demokratische Mitte dieser Gesellschaft ist wach, sie ist sichtbar und sie hat etwas erreicht: Sie hat die Gleichgültigkeit vertrieben. Sie hat Mut gemacht. Sie lässt nicht mehr zu, dass allein die Feinde der Demokratie den Ton setzen und die mediale Tagesordnung bestimmen. Genau darauf kommt es an!

Ich freue mich, dass Sie sich diesem Bündnis für die Demokratie anschließen. Sie bekennen Farbe, weil gerade Sie ja wissen: Der Kampf gegen Extremismus ist auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft. Was wäre denn die Folge, wenn die gewinnen, die den Austritt aus der Europäischen Union fordern? Es wäre nicht weniger als die wirtschaftliche Katastrophe für die Volkswirtschaft, die vom freien Binnenmarkt lebt. Das ist nicht nur das Ende von ein paar auf den Export ausgerichteten Unternehmen. Es würden Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet – ein Wohlstandvernichtungsprogramm mit Ansage!

Und was richten wir an, wenn die Krankenschwester aus Vietnam, die Ingenieurin aus Indien und der Arzt aus dem Iran sich nicht mehr nach Deutschland trauen. Ich höre doch schon manche besorgte Stimmen, wenn ich im Ausland unterwegs bin. Wir können doch wissen: All diese Menschen gehen nicht an Orte, wo ihnen Rassismus und Hass entgegenschlagen!

Das müssen auch die begreifen, die mit Ausländerhass auf Stimmenfang gehen, denn die ökonomische Wahrheit bleibt: Wir werden Facharbeitskräfte aus dem Ausland brauchen, wenn wir wirtschaftlichen Erfolg haben wollen. Nicht Abschottung ist die richtige Antwort, sondern kluge Steuerung von Zuwanderung – mit begleitender Bildung und Integration vom ersten Tag an!

Nicht mit Angstmache gewinnen wir die Zukunft, sondern mit mutigem Blick nach vorn! Es kommt darauf an, dass wir den verantwortungslosen Vereinfachern das Handwerk legen! Dass wir gemeinsam klar sagen: Wir lassen uns dieses Land nicht von rechtsextremen Ideologen kaputtmachen!

Und deshalb brauchen wir jetzt einen doppelten Schulterschluss: gegen Extremismus, für Demokratie und Wohlstand. Ja, dazu gehört auch, dass Rahmenbedingungen und Spielräume bestehen, die das Wirtschaften nicht schwerer, sondern leichter machen. Dazu gehört, dass wir um unsere industrielle Basis kämpfen, dass wir Handwerk und Mittelstand stabil halten. Es gehört dazu, dass wir Selbstbewusstsein zurückgewinnen, Angst vor Veränderung ablegen, die Transformation der Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft klug managen und den Menschen die Möglichkeit geben, mitzukommen.

Auf all diesen Feldern werden wir – auch die Sozialpartner – immer um den richtigen Weg ringen. Das ist nicht überflüssig, das braucht die Demokratie. Also: Kontroverse ja. Aber: Wir müssen vereint sein, wenn es um das gemeinsame Ganze geht, die Demokratie selbst. Wir brauchen den Schulterschluss der Demokraten – eine „konzertierte Aktion“ für die Demokratie! Nicht nur heute, sondern an 365 Tagen im Jahr. Lassen Sie uns zusammenstehen für ein freies, friedliches und freundliches Deutschland. Vielen Dank!