Wir nähern uns einem Doppeljubiläum in diesem Jahr: 75 Jahre Grundgesetz ist das eine, in wenigen Tagen bevorstehend am 23. Mai mit einem großen Staatsakt in Berlin. Aber nicht weniger wichtig: 35 Jahre Friedliche Revolution. Der Fall der Mauer, ein Fall der Mauer, der dann den Weg in die Deutsche Einheit vorbereitete.
Und bald ist es deshalb 35 Jahre her, dass Deutschland geeint ist. Dass wir politische Herausforderungen, die es ganz ohne Zweifel gibt, jedenfalls nicht mehr zwingend nach Ost und West getrennt beurteilen müssen, sondern dass wir solche Herausforderungen gemeinsam tragen. Und diese dreieinhalb Jahrzehnte, die haben uns im Westen wie im Osten – wie ich immer sage - auf beiden Seiten, noch einmal neu geprägt. Und dabei ist auch wirklich viel Gutes entstanden.
Ich möchte in diesem Jubiläumsjahr ganz besonders zeigen, dass wir vorangekommen sind, dass der Einsatz, dass die Anstrengung sehr vieler Menschen in den Regionen unseres Landes das Leben tatsächlich verbessert haben. Und auch deshalb, werter Herr Ministerpräsident, bin ich nicht zum ersten Mal in Thüringen, sondern viele Male in den letzten Monaten, Jahren hier gewesen. Denn ich finde, dieses Land ist ein spannendes Land mit so vielen Erfolgsgeschichten, die alle noch nicht ausreichend erzählt sind.
Aber wir sind nicht nur zum Geschichtenerzählen gekommen, sondern vor allen Dingen auch um zu danken. Den Menschen zu danken, die hier in den vergangenen 35 Jahren wirklich an die Substanz gehende Umbrüche getragen haben, die für viele schier unvorstellbare Herausforderungen angenommen haben, ihren Alltag neu erfunden und neu strukturiert haben. Und diesen Lebensleistungen, denen zolle ich wirklich großen Respekt, große Anerkennung. Es waren Menschen, die ihre Umgebung, ihr Zuhause neu gestaltet, Städte repariert und restauriert, sich um die Umwelt gekümmert haben. Und es sind nicht zuletzt auch wirtschaftliche Erfolgsgeschichten, die viel, viel, viel mehr öffentliche Beachtung verdienen als sie es bekommen.
Eine dieser Erfolgsgeschichten habe ich gerade hier in Saalfeld kennengelernt. Die Firma Reschwitzer Saugbagger Produktion, kurz RSP, erzählt eine Geschichte von Mut und Neuanfang. Geradezu exemplarisch finde ich.
Mit drei Mitarbeitern haben Enthusiasten kurz nach der Deutschen Einheit die Produktion angefangen. Erfahrung in Industrieunternehmen war bei den dreien vorhanden. Hinzu kam eine Idee, 1993 dann eine Unternehmensgründung, und mit der Unternehmensgründung, mit diesen drei Leuten ohne Geld, ohne Kapital, der Sprung in die Selbständigkeit.
Wo kam das Kapital her, um so etwas wagen zu können? Schlicht und einfach, indem die Eltern der Gründer Hypotheken auf ihr klein Häuschen
aufgenommen haben und auf diese Weise für den Anfang geradegestanden haben. Viel Unternehmergeist der da war; viel Unternehmergeist, den man sieht, wenn man die Firma heute besucht; viel Unternehmergeist, der sich wirklich gelohnt hat.
Die Firma, die als Garagengründung begann, ist heute eine international tätige Unternehmensgruppe mit elf Standorten in Europa, mehr als 850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zwischen Neuseeland, Kanada, Südafrika: Überall auf der Welt sind heute die Saugbagger aus Saalfeld im Einsatz. Das ist eine dieser ganz vielen thüringischen Erfolgsgeschichten. Und es gibt viel mehr davon in unserem Land, viel mehr als den meisten bewusst ist.
Mir ist wichtig, dass wir diese Art von Hidden Champions noch viel stärker ins Licht rücken. Denn sie zeigen, dass wir wirklich Grund zu Optimismus haben. Wenn ich mir die Lage im Land anschaue, dann glaube ich, haben wir ein bisschen von diesem Optimismus wirklich nötig. Also, mein Aufruf immer an uns selbst: Besinnen wir uns bei allen Herausforderungen, die ich nicht verschweige, auf unsere eigenen Stärken. Dazu gehört auch die Bereitschaft, etwas zu wagen und mit Mut und Selbstvertrauen aktiv zu werden und voranzugehen.
Diese Bereitschaft brauchen wir natürlich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Zivilgesellschaft. Unternehmergeist und Bürgersinn, das sind zwei Ausprägungen der Freiheit, sie sind zwei Seiten derselben Medaille.
Und wir haben dieses Engagement ja durchaus. Ich war gerade eben gegenüber im Zukunftsladen und habe Aktive des Jugendforums getroffen, die viel Zeit und Energie investieren, um gute Ideen zu entwickeln, wie Stadt, Region und der ganze Landkreis gerade für junge Menschen attraktiv gemacht oder attraktiv gehalten werden können.
Hier ist nicht nur die Politik, sondern Zivilgesellschaft gefordert: Wir brauchen bürgerschaftliches Engagement von Menschen, die sich für ihre Stadt stark machen, die ihre Gemeinde gemeinsam mit anderen immer ein Stück voranbringen und für alle Generationen lebenswert gestalten.
Dieses Engagement verdient Anerkennung und Wertschätzung. Es braucht aber auch Förderung und Unterstützung, und diese Unterstützung, die kommt auch vom Staat. Aber sie kann nicht alleine nur vom Staat kommen, sondern auch die Gesellschaft selbst muss dazu beitragen. Das gilt gerade dort, wo es um das so wichtige Engagement für die Demokratie geht.
Demokratische Selbstbestimmung beginnt eben vor Ort, sie braucht uns alle und braucht den eigenen Antrieb. Unsere Gemeinschaften im Kleinen wie im Großen sollten es uns wert sein, zu investierten: Zeit zu investieren, um mit anzupacken, und um unser Zusammenleben, unsere Demokratie noch besser zu machen.
Liebe Gäste, die kürzeste Aufforderung unseres Grundgesetzes ist vielleicht zugleich eine der wichtigsten. Sie drückt wie kaum eine andere die Idee der sozialen Marktwirtschaft aus, wenn Artikel 14 über das Eigentum sagt: Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Diese Sozialbindung zeigt sich, zum Beispiel dort, wo privates Vermögen in gemeinnützige Stiftungen eingebracht wird.
Gemeinnützige Stiftungen sind ja nichts anderes als privates Kapital im Dienste des Gemeinwohls. Und die Mittel, mit denen solche Stiftungen die Arbeit von Vereinen, Initiativen, Projekten fördern, das ist oftmals erst der notwendige Treibstoff für gesellschaftliches, für ehrenamtliches Engagement. Allerdings – auch das haben Sie gehört – kommen fast neunzig Prozent der Stiftungen immer noch aus Westdeutschland. Das ist historisch erklärbar. Aber Tatsache ist und bleibt, dass nur zehn Prozent der Stiftungen in Ostdeutschland beheimatet sind.
Diese Ungleichheit zu reduzieren und bürgerschaftlichem Engagement insbesondere im ländlichen Raum Ostdeutschlands mehr, auch finanziell mehr Rückenwind zu geben, das ist das wichtige Ziel der neuen Gemeinschaftsinitiative "Zukunftswege Ost“. Die Idee, privates Kapital von Stiftungen, Unternehmen und Bürgern bundesweit zu sammeln und dann dorthin zu lenken, wo es besonders gebraucht wird, ist ein wirklich wichtiges gesamtdeutsches Projekt.
Und dass es viele interessante Initiativen aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gibt, die jede Förderung wert sind, das kann man hier sehen. Ich freue mich deshalb schon gleich auf viele Begegnungen, die wir hier im Saal haben werden.
Im Amerikanischen, wo eine Menge Anstöße und Förderungen aus der Gesellschaft heraus kommen, gibt es einen nachvollziehbaren und schönen Ausspruch, der lautet ungefähr übersetzt so: Eine frühe Förderung ist wie Hefe, sie hilft, dass die Sache richtig aufgeht.
Die Zukunftswege Ost können die Hefe liefern. Die Bäcker aber, das bleiben die Engagierten hier in Saalfeld und überall im Landkreis. Und vielleicht kann aus diesem Zusammenwirken auch neues fruchtbares Engagement neu entstehen. Das wünsche ich mir und Ihnen.