"Hier in Bonn feiern wir unser gemeinsames Grundgesetz"

Schwerpunktthema: Rede

Villa Hammerschmidt, , 25. Mai 2024

Im Rahmen des Bonner "Festes der Demokratie" hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Besucherinnen und Besucher zum Tag der offenen Tür in der Villa Hammerschmidt begrüßt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht auf der Bühne im Park der Villa Hammerschmidt vor den Gästen und hält eine Rede

Liebe Gäste, was für ein schöner Anblick von hier oben! Ich darf Sie alle herzlich begrüßen im Park der Villa Hammerschmidt und zu einem "Fest der Demokratie". Herzlich willkommen Ihnen allen!

Wir haben einen Grund zum Feiern: 75 Jahre besteht unser Grundgesetz. Unsere Verfassung, die uns für ebenso viele Jahre Freiheit und Recht, Frieden und Wohlstand geschaffen und bewahrt hat.

75 Jahre besteht diese Bundesrepublik Deutschland, die nach Friedlicher Revolution, Mauerfall und Wiedervereinigung seit fast dreieinhalb Jahrzehnten auch der gemeinsame Staat der Deutschen in Ost und West ist. Wir sind nicht perfekt. Aber vieles ist uns gelungen in diesen Jahrzehnten, in denen uns das Grundgesetz begleitet. Ich finde, an einem solchen Tag darf man ein bisschen stolz darauf sein und es sogar zeigen.

Dass ein solches Jubiläum auch eine Verpflichtung für uns alle ist, diese Demokratie gemeinsam zu schützen und zu bewahren, gerade in schweren und härter werdenden Zeiten, darüber habe ich vorgestern in Berlin sehr ausführlich gesprochen.

Dass man 75 Jahre Grundgesetz nicht nur in der Hauptstadt Berlin, sondern überall im Land und ganz besonders in der Bundesstadt Bonn feiern muss, das ist für mich selbstverständlich. Hier in Bonn ist das Grundgesetz ja entstanden, nachdem es in Herrenchiemsee vorbereitet worden war. Im Parlamentarischen Rat ist es beraten und diskutiert und schließlich am 23. Mai 1949 verkündet worden. 12.500 Worte, mehr brauchten die vier Frauen und einundsechzig Männer nicht, um ein solides Fundament für die zweite Demokratie in Deutschland zu schaffen. Ein Meisterwerk, das uns durch Höhen und Tiefen der Nachkriegsgeschichte getragen hat. Wir können diesen Vätern und Müttern des Grundgesetzes nicht genügend dankbar sein.

Und auch das müssen wir uns klarmachen: Dieses Grundgesetz ist entstanden in einer Zeit, in der die Menschen ganz andere Sorgen hatten, in der Armut und Hunger das Leben in den meisten Familien noch prägten und bestimmten. Konferenzzentren gab es 1948/49 nicht. Für die Eröffnung des Parlamentarischen Rates war das Museum Koenig hier in Bonn noch ein sehr repräsentativer Ort, wenngleich man einige der ausgestopften Tiere mit Laken verhängen musste. Sie kennen die Geschichte mit der "Bundesgiraffe", die nicht im Bild sein sollte, als der Parlamentarische Rat eröffnet wurde.

Wie vieles ist in dieser ersten Zeit in Bonn noch sehr behelfsmäßig gewesen! Wie viel Improvisationsgeschick und guten Willen musste man aufbringen, um zum Beispiel all die Abgeordneten einigermaßen unterzubringen. Und wie weit entfernt scheinen uns die Anfänge unserer Republik, wenn wir an einzelne Episoden denken. Wenn etwa am Abend des 12. September 1949, nach seiner Wahl, der frisch gewählte Bundespräsident Theodor Heuss auf den Bonner Marktplatz ging, um eine Rede an die Menschen hier in Bonn zu richten – und am Ende sang und spielte man – Sie wissen, eine Nationalhymne gab es noch nicht – "Großer Gott, wir loben dich!". Wir würden es wohl kaum glauben, wenn es davon nicht Aufnahmen gäbe.

An solchen und ähnlichen Rückblenden merken wir, wie weit die Zeit entfernt ist, in der das bis heute tragende Fundament unseres Staates gelegt wurde – und es sind doch nur 75 Jahre, nicht einmal ein Jahrhundert! Und andererseits: Obwohl uns viele Einzelheiten von damals so fremd und wie aus einer ganz anderen Epoche zu sein scheinen, erscheint uns doch das Grundgesetz selber in seinem ursprünglichen Text, in der eleganten Klarheit seiner Formulierungen, noch immer sehr frisch und fast alterslos.

In Bonn hat sich der neue Staat dann ein Gesicht und eine Gestalt gegeben. Es war ein bescheidenes, eher schlichtes Erscheinungsbild: mit dem Parlament in einer ehemaligen Pädagogischen Akademie und mit einem Amtssitz für das Staatsoberhaupt in der Villa Hammerschmidt, die mit ihren im internationalen Vergleich fast zierlichen Ausmaßen so manchen Gast – und nicht nur aus dem Ausland – in Erstaunen versetzt hat.

Aber so sollte es sein, und so zurückhaltend war es gewollt, denn man war ja vorerst "provisorische" Hauptstadt und Regierungssitz nur für die eine Hälfte Deutschlands. Das Bewusstsein vom Provisorium wurde dann im Laufe der Zeit schwächer, und viele, nicht nur in Bonn, hatten sich, bewusst oder unbewusst, immer mehr auf Dauer eingerichtet. Bis sich, wie wir wissen, 1989 die Friedliche Revolution in der DDR Bahn brach und schon ein Jahr später der Grundgesetzauftrag von 1949, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, erfüllt wurde.

Es war diese Friedliche Revolution der Bürgerinnen und Bürger der DDR, vorbereitet von tapferen und entschiedenen Bürgerrechtlern, die dazu geführt hat, den Auftrag des Grundgesetzes zu Einheit und Freiheit für alle Deutschen zu erfüllen. Sie haben damit angeknüpft an die besten Traditionen unserer deutschen Freiheitsgeschichte – es ist die Tradition, in der unser Grundgesetz steht. Sie reicht weit zurück, tief ins neunzehnte Jahrhundert, und hatte ihren ersten großen historischen Moment 1848 in der Paulskirche. Diese Freiheitsgeschichte verbindet uns in Ost und West.

Wenn heute auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und amtierende Präsidentin des Bundesrates Manuela Schwesig hier ist, wird erst recht deutlich: Hier und heute feiert nicht Bonn sich selbst und auch nicht der Westen des Landes für sich, sondern hier in Bonn feiern wir unser gemeinsames Grundgesetz. Und was für ein Glück ist das für unsere Generation!

Vielleicht verfolgen Sie nachher ab 15 Uhr gemeinsam mit mir die Gesprächsrunde "Demokratie – jetzt oder nie. Ein Grundgesetz für Deutschland" mit Bürgerrechtlerinnen und der Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig. Da wird es um das Doppeljubiläum gehen: 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Friedliche Revolution. Hier auf dieser Bühne. Herzliche Einladung dazu – und Ende des Werbeblocks dafür.

Die frühe Bundesrepublik wurde sicher auch durch Bonn und seine Eigenart geprägt. Durch diese uralte Stadt, die seit der Römerzeit schon so viel Geschichte erlebt hat und die bis heute so viel Wasser den Rhein hat herabfließen sehen. Es ging vielleicht eine unaufgeregte Gelassenheit von ihr aus. Und das hat dem Land gutgetan. Sicher, es wurden auch in jenen Jahren harte und härteste politische Auseinandersetzungen ausgetragen. Aber man war doch bei aller sachlichen und auch ideellen Gegnerschaft nie miteinander verfeindet – und sich, gerade angesichts der deutschen Teilung, in einem immer einig: diese junge Demokratie gemeinsam bewahren und schützen zu wollen.

Gerade in diesen Zeiten muss uns dieser Geist der Gemeinsamkeit der Demokraten mitten in allem Streit eine bleibende, ja eine immer neue Verpflichtung sein. Wir stehen jetzt in der Verantwortung, diese Gemeinsamkeit zu zeigen.

Hier in Bonn hat das Grundgesetz in der politischen Auseinandersetzung seine ersten Bewährungsproben bestehen müssen und bestanden. Manche Erinnerungen kommen uns Älteren, wenn wir heute mit Dankbarkeit an diese oft bewegten Jahre hier zurückdenken. Ich erinnere, nur zum Beispiel, an Namen, die meiner Generation lange Zeit so sehr geläufig waren: Palais Schaumburg, Hardthöhe, Langer Eugen, Godesberger Redoute, Petersberg und eben auch: Villa Hammerschmidt.

Und ich erinnere an Bilder, die man immer wieder sehen konnte, wenn es im Fernsehen um die Belange unseres Landes ging: der alte Plenarsaal mit den vornehmen schwarzen Hölzern und den markanten silbernen Beschlägen, später das helle Wasserwerk, für kurze Zeit dann noch der große neue Plenarsaal; und wie oft war nicht "Large Two Forms", die mächtige goldglänzende Plastik von Henry Moore vor dem Bundeskanzleramt im Bild, fast jeden Abend in den Hauptnachrichten.

Und auch an die Staatsbesuche, zum Beispiel Königin Elisabeth oder John F. Kennedy. Wenn sie auf der Treppe des Bonner Rathauses von den Menschen auf dem Marktplatz begeistert empfangen wurden. Kennedy hat übrigens in seiner Ansprache dort gesagt: The city of Bonn is the capital of the free world – durch die berühmte Rede in Berlin, nur wenig später, etwas in Vergessenheit geraten.

Oder Michail Gorbatschow. Sein historischer Besuch im Juni 1989, unvergessen nicht nur hier, stellte auf seine Weise Weichen für eine freundschaftliche Verständigung – und damit auch dafür, dass die Friedliche Revolution eben so verlaufen konnte, wie sie verlaufen ist: friedlich.

Mögen auch die Hauptstadtjahre vorbei sein – Bonn hat aber nicht nur eine Vergangenheit, das wissen Sie hier besser als ich. Bonn ist eine moderne, auf Zukunft ausgerichtete Stadt mit vielen internationalen Einrichtungen und Dienstleistern. Die große Universität sorgt für eine lebendige Gegenwart; das kulturelle Leben ist vielfältig und wird von vielen Einflüssen und Herkünften geprägt. Das Rheinische hat immer eine besondere Fähigkeit zur Integration und zum Miteinander der Verschiedenen gehabt. Und auch, in allen Entwicklungen erst einmal das Gute und die Chancen zu sehen. Deswegen glaube ich: Es ist immer noch ein Glück, Bonner zu sein, und Bonnerin natürlich auch.

Ich wünsche Ihnen allen ein wunderbares Fest der Demokratie, hier im Park und in der Villa Hammerschmidt, auf dem Gelände des Bundesministeriums für Zusammenarbeit und Entwicklung und rund um den Platz der Vereinten Nationen. Es ist sicher für alle etwas dabei, was sie interessiert und ihnen Freude macht. Und wenn Ältere den Jüngeren ein bisschen erzählen von dem, an was sie persönlich sich erinnern, so ist das auch im Sinne eines gemeinsamen Festes.

Zum Schluss möchte ich, und sicher auch in Ihrer aller Namen, ganz besonders der Stadt Bonn danken. Dieses Fest geht auf ihre Initiative zurück. Und, liebe Frau Oberbürgermeisterin Dörner, wir verdanken es der tatkräftigen organisatorischen, personellen und nicht zuletzt finanziellen Unterstützung Ihrer Stadt Bonn, dass wir mit so vielen Interessierten aus allen Generationen dieses Fest feiern können.

Also, liebe Frau Oberbürgermeisterin: Ihnen und ganz Bonn unseren ganz herzlichen Dank!

Und Ihnen und uns allen jetzt einen schönen Tag am und rund um den Bonner Amtssitz des Bundespräsidenten!