Hallo Katholikentag! Hallo Erfurt!
Ich danke ganz herzlich für diese musikalische Überleitung. Sie haben es erkannt: "Ermutigung“!
Und nichts brauchen wir dringender in diesen Zeiten als Ermutigung! In Zeiten des Krieges in Europa und im Nahen Osten. Ermutigung, die wir brauchen, wenn Demokratie angefochten wird, von außen und von innen.
Und mir fällt da in der Tat ein Lied ein, das wir schon gesungen haben, vorhin. Ein Lied der Ermutigung, das hier von Erfurt ausging: Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht […]
1981 – das große und bei allen die dabei waren, sicher unvergessene Erfurter Katholikentreffen damals in der DDR, zur Feier des Elisabeth-Jubiläums – da ist das Lied wohl erstmals gesungen worden. Und schon ein Jahr später wurde es auf dem Katholikentag in Düsseldorf gesungen. Zumindest damals wusste man im Westen, woher das Lied kam: Es ging dann seinen Weg durch unzählige Gruppen und Gemeinden, wurde in Gottesdiensten und auf Freizeiten gesungen und schuf ein Stück Zusammenhalt zwischen Ost und West.
Dies sage ich, weil wir in diesem Jahr nicht nur 75 Jahre Grundgesetz, sondern auch 35 Jahre Friedliche Revolution feiern. Darum will ich gerade hier den Katholikinnen und Katholiken für ihren besonderen Beitrag für unsere Demokratie und unseren Staat danken. Sie haben geholfen, dass zusammenwächst, was zusammengehört. Danke für Ihren Beitrag!
Ich weiß, dass engagierte Katholiken zu den großen Stützen unseres demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens gehören: von den Jugendgruppen in den Gemeinden und in den Verbänden über die organisierten Gruppen und Vereine Erwachsener bis hin zu den vielen Einzelnen, die ihren Glauben als Auftrag zum Dienst am Mitmenschen verstehen.
Engagierte Christen stellen sich aus diesem Glauben heraus gerade heute sehr entschieden gegen die Extremisten und gegen die Feinde der Demokratie. Ich erinnere an die politisch entschiedene Erklärung der deutschen Bischöfe vom vergangenen Februar, unter dem Titel: "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Eine Erklärung, die ich auch in ihrer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus als herausragend empfinde. Am Schluss heißt es dort sonnenklar:
Die Menschenwürde ist der Glutkern des christlichen Menschenbildes und der Anker unserer Verfassungsordnung. Leisten wir alle Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten! Engagieren wir uns gemeinsam aktiv für die freiheitliche Demokratie!
Genau das sollten wir tun. Es ist nötiger denn je!
Einsatz für Demokratie und demokratisches Bewusstsein: Das war zwar lange Zeit längst nicht für alle, auch nicht für alle Mitglieder der Kirche selbstverständlich. Aber es kommt nicht von ungefähr, dass der erste Deutsche Katholikentag in Mainz 1848 stattfand, also im selben Jahr, in dem im nahen Frankfurt die Paulskirche tagte. Auch Katholiken konnten und wollten Demokratie.
Und der Präsident des Deutschen Katholikentages von 1922, ein gewisser Konrad Adenauer, widersprach öffentlich und deutlich dem Münchner Kardinal von Faulhaber, als der damals die Legitimität von Republik und Demokratie in Zweifel zog. Adenauer ließ keinen Zweifel daran, dass Demokratie und Republik auch Sache der Katholiken seien. Mit dem Zentrum gehörten die Katholiken schließlich zu den Stützen der Weimarer Demokratie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage der Katholiken in Ost und West natürlich sehr unterschiedlich. Im Westen war ihr Einfluss auf den Staat groß: durch Vereine und Verbände, durch Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Insbesondere die katholische Soziallehre hat zur gefundenen Gestalt des Sozial- und Wohlfahrtsstaates viel beigetragen. Menschen wie Oswald von Nell-Breuning und viele andere.
Im Osten, wo man eine sehr kleine Minderheit war, waren es vor allem der Zusammenhalt untereinander und das entschiedene Zeugnis des Glaubens, ein Bekenntnis gegen den damals offiziellen atheistischen Materialismus. Auch begründeter, glaubwürdig gelebter Widerspruch, leise oder laut, kann ein wichtiger Dienst an der Gesellschaft und an den Mitmenschen sein.
Der vielfältige Dienst von Christen gehört zu dem, was unsere ganze Gesellschaft trägt und zusammenhält. Deswegen: Ich bin auch gekommen, um mich zu bedanken bei all denen, die sich um mehr kümmern als sich selbst. Die Sorge tragen für ihre Nächsten, die Nachbarschaft, die Gemeinde. Die helfen, unterstützen, trösten, die mittrauern und ermutigen, die denen ein Licht sind, die nur Dunkelheit sehen, die Wärme spenden, wo Kälte ist. Es sind so viele, die nie im Rampenlicht stehen und dort auch gar nicht stehen wollen. Die einfach, ganz selbstlos, für andere da sind. All denen möchte ich Danke sagen für das, was sie tun – dafür, dass es sie gibt. Sie werden gebraucht. Herzlichen Dank!
Bei vielen steht im Geiste und nach dem Vorbild der Elisabeth von Thüringen die Sorge um die Armen im Mittelpunkt – und das heißt die Sorge um die, die nicht mitkommen, die vereinsamt sind, deren Leben ausweglos scheint, die krank sind oder die an dem Gefühl der Sinnlosigkeit verzweifeln. Christen, die die Nächstenliebe, die Caritas nach dem Vorbild der Heiligen Elisabeth verstehen, rechnen nicht auf, handeln nicht nach dem Gesetz des Tausches, fragen nicht zuerst, was sie zurückbekommen. Sie leben etwas vor, was niemand einfordern kann und das so vielen hilft und nützt. Das ist ein Glück für unsere ganze Gesellschaft!
Und weil ich das so empfinde, kann ich nur zutiefst bedauern, dass die Kirchen einen so großen Zustimmungs- und Vertrauensverlust erleben. Die Veränderungen sind durchaus dramatisch. Dafür muss man zum einen die selbstgemachten Ursachen nennen, wie die fürchterliche Tatsache des massenhaften Missbrauchs und der langen Geschichte seiner Vertuschung.
Aber ich bin fest davon überzeugt, es wäre zu kurz gegriffen, den generellen Trend schwindenden Vertrauens in Institutionen und insbesondere schwindenden Engagements in und für Kirche allein darauf zurückzuführen.
Dazu kommt auch noch etwas anderes und ich glaube, das wird stärker: Es gibt in weiten Teilen unserer Gesellschaft eine wachsende Entfremdung, ja eine eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber dem Religiösen und gegenüber dem, was über unser Leben hinausweist. Geben die Kirchen hier zu wenig Anstoß? Ist ihre Botschaft zu leise, zu blass, zu wenig profiliert?
Es gibt ja auch nicht wenige Menschen – Menschen jeden Alters, Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Prägungen –, die durchaus ernsthaft nach dem suchen, was ihrem Leben Sinn und Richtung geben könnte. Und deshalb die kritische Frage an uns selbst, als Christen: Finden diese ernsthaft Suchenden überzeugende Antworten, finden sie die richtigen Ansprechpartner, finden sie genügend geistliche Kompetenz, finden sie die gesuchte empathische Begleitung in unseren Gruppen, Gemeinden und Initiativen? Und ich bin mir sehr bewusst: Nicht auf alle Fragen werden wir rasche Antworten finden.
Aber sicher bin ich mir in einem: Nächstenliebe, Caritas und Diakonie sind und bleiben wichtige Dienste der Kirche an Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und Nöten. Und sie bleiben starke Zeugnisse der Glaubwürdigkeit. Aber Diakonie und Caritas werden getragen von Glauben und Vertrauen. Beides braucht Kraftquellen und beides braucht innere Stärkung. Dazu gehören Gottesdienst, gemeinsames Beten und Singen, und das Hören auf die Bibel. Dazu wird auch sicher hier auf dem Katholikentag wieder viel Gelegenheit sein.
Ich weiß und ich bin mir sicher, dass immer noch sehr viel Gutes von den Christen unseres Landes ausgeht und dass im Hinblick auf die Zukunft schon mutige, manchmal streitbare, aber doch hoffnungsvolle Schritte getan werden. Dafür bin ich dankbar und das macht auch mir selber Hoffnung.
Ich wünsche Ihnen und uns allen einen Katholikentag der Ermutigung!