Empfang für Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler der Alexander-von-Humboldt-Stiftung

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 28. Juni 2024

Bundespräsident Steinmeier hat am 28. Juni etwa 600 Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Humboldt-Stiftung in Deutschland mit einer Rede im Park von Schloss Bellevue willkommen geheißen: "Sie alle stärken, was uns verbindet – hier in Deutschland, in Europa, weltweit."

Wie schön, Sie alle hier im Park von Schloss Bellevue zu sehen! Der Park, in dem wir heute zusammengekommen sind, liegt in diesen Tagen mitten in der größten Fanzone der Fußball-Europameisterschaft. Wenn morgen das erste Achtelfinale angepfiffen wird, dann werden sich hier zwischen Tiergarten, Brandenburger Tor und Reichstag wieder zehntausende Fußballbegeisterte aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt zur Live-Übertragung versammeln – durch den Fußball vereint, united by football.

Ich bin mir sicher, auch viele von Ihnen verfolgen die Spiele, und ich hoffe, dass Sie sich von der fröhlichen Stimmung, die wir in den Stadien, auf den Straßen und Plätzen erleben, alle anstecken lassen. Aus meiner Sicht passt es jedenfalls sehr gut, dass Ihre Jahrestagung hier in Berlin gerade jetzt während der Europameisterschaft stattfindet. Denn so, wie diese Europameisterschaft dafür steht, dass der Sport Menschen über Grenzen hinweg vereinen kann, so steht die internationale Humboldt-Familie für die verbindende Kraft der Wissenschaft. Sie alle, meine Damen und Herren, sind durch Wissenschaft vereint, united by science.

Fast 600 herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 70 Ländern sind heute hier in diesem schönen Parkversammelt, viele in Begleitung ihrer Lebenspartner und Kinder. Die meisten von Ihnen werden in den kommenden Monaten an verschiedenen Orten in Deutschland forschen, sich über Länder- und Fächergrenzen hinweg austauschen, nützliche Kontakte knüpfen und Freundschaften schließen.

Sie alle sind in dieser wirklich schwierigen Zeit der Kriege, Krisen und Veränderungen ein Zeichen der Hoffnung. Denn Sie helfen mit, Brücken zu bauen, und Sie führen uns vor Augen, dass wir eine bessere Zukunft gestalten können, wenn wir weltweit zusammenarbeiten. Ich freue mich, dass Sie bei uns sind – seien Sie uns ganz herzlich willkommen hier in Deutschland, hier in Berlin und hier im Park von Schloss Bellevue!

Alexander von Humboldt – der übrigens auch mal hier in diesem Schloss zu Besuch war, das ist allerdings schon ein paar Jahre her –, Alexander von Humboldt war ein Vorreiter der globalisierten Wissenschaft. Seine Erkenntnis, dass in unserer Welt alles mit allem zusammenhängt, ist heute vielleicht aktueller denn je. Erderwärmung und Artensterben, Pandemien und Krankheiten, Hunger und Armut, Flucht und Migration, all das sind Krisen und Probleme, deren Ursachen und Folgen Grenzen überschreiten. Und all das sind Krisen und Probleme, die wir nur bekämpfen und lösen können, wenn wir die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und weltweit zusammenarbeiten, in der Wissenschaft, aber auch in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.

Ich bin überzeugt und bleibe es: Nur eine freie, international vernetzte und verantwortungsbewusste Wissenschaft, die sich an die Spielregeln eines fairen Wettbewerbs hält, kann die Erkenntnisse und Innovationen schaffen, die wir in Gesellschaft und Politik brauchen, um eine gute, lebenswerte Zukunft auf diesem unserem Planeten zu schaffen. Aber wir alle hier wissen, manche von Ihnen aus eigener schmerzlicher Erfahrung: Die Freiheit der Wissenschaft wird in immer mehr Ländern rund um den Globus nicht nur angefeindet und verächtlich gemacht, sondern vielerorts auch massiv eingeschränkt.

Wir erleben, wie autoritäre Regime Wissenschaft durch politische Vorgaben steuern – was exzellente Forschung und technischen Fortschritt zwar nicht ausschließt, aber regelmäßig dazu führt, dass ethische und gesellschaftliche Folgen vernachlässigt werden. Wir erleben, wie autoritäre Regime Fakten leugnen, Forschungsergebnisse verfälschen oder unterdrücken, wie sie Verschwörungstheorien verbreiten, im großen Stil Desinformation betreiben. Und wir erleben nicht zuletzt, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in vielen Ländern schikaniert, eingesperrt, vertrieben oder sogar ermordet werden.

Ich bin der Humboldt-Stiftung sehr, sehr dankbar, dass sie Forscherinnen und Forscher schützt und unterstützt, die in ihren Herkunftsländern bedroht oder verfolgt werden und die zum Teil bei uns Zuflucht gefunden haben. Es ist genau diese Solidarität mit den Verfolgten und Unterdrückten, die wir weiterhin brauchen – nicht nur in der Wissenschaft!

Es ist und bleibt auch wichtig, dass wir die Freiheit der Wissenschaft in den liberalen Demokratien gegen Angriffe von innen verteidigen. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei, heißt es im deutschen Grundgesetz, dessen 75. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Dieser Satz ist ein Auftrag an Politik und Gesellschaft: Es ist an uns, Wissenschaft als ergebnisoffenen Prozess zu respektieren, zu ermöglichen, immer wieder von Neuem, und zu schützen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind im Forschungsprozess keinem politischen Ziel und keiner wie auch immer gearteten Gesinnung verpflichtet. Sie müssen sich auch nicht nach dem jeweils vorherrschenden Meinen und Empfinden richten, wie John Stuart Mill einmal geschrieben hat. Die demokratische Debatte, die notwendig ist, beginnt erst dann, wenn es darum geht, welche praktischen Schlüsse wir aus bestimmten wissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen wollen.

Diese Freiheit, die wir zu schützen haben, entbindet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allerdings nicht von der Verantwortung für die Welt, die sie erforschen, für die Gesellschaft, in der sie forschen, für Mensch und Natur ganz allgemein. Im Gegenteil: Aus dieser Freiheit erwächst Verantwortung, beides bedingt einander. Und zu dieser Verantwortung gehört auch, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich als Bürgerinnen und Bürger für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Ich bin überzeugt: Das ist heute so wichtig wie schon lange nicht mehr.

Nicht nur die Freiheit der Wissenschaft ist heute bedroht. Auch die internationale Zusammenarbeit ist heute schwieriger und in manchen Fällen sogar unmöglich geworden. Kriege und Konflikte unterminieren die internationale Ordnung. Politische Kräfte, die sich nationalistische Abschottung auf die Fahnen schreiben, gewinnen in vielen Ländern an Zulauf. Autoritäre Regime versuchen, andere Länder von sich abhängig zu machen, betreiben Wissenschaftsspionage, stehlen geistiges Eigentum oder missbrauchen Forschungsergebnisse zu militärischen Zwecken. Wir dürfen in dieser Zeit nicht unkritisch oder sorglos sein, wenn es um Kooperationen in der Wissenschaft geht. Und wir brauchen klare Regeln, um geistiges Eigentum und ethische Standards tatsächlich zu schützen.

Vor allem aber ist und bleibt es wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern sich persönlich begegnen und sich persönlich im Austausch befinden. Nur auf diese Weise kann Vertrauen wachsen und Verständigung gelingen. Gerade in dieser Zeit, in der wir uns in Deutschland mehr vernetzen wollen, um widerstandsfähiger und weniger verwundbar zu sein, gerade in dieser Zeit brauchen wir gleichberechtigte, respektvolle Partnerschaften mit Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika, und das ganz besonders in der Wissenschaft. Es muss uns noch besser gelingen, auch jene Forscherinnen und Forscher aus ärmeren Ländern einzubinden, die dort unter schwierigen Bedingungen arbeiten müssen und doch hervorragende Wissenschaft betreiben. Ich bin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung sehr, sehr dankbar, dass sie sich auf diesen Weg gemacht hat.

Verehrter Herr Schlögl, stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Stiftung will ich Ihnen heute dafür danken, dass Sie sich in diesen schwierigen Zeiten unermüdlich für die Freiheit der Wissenschaft und den grenzüberschreitenden Austausch einsetzen. Es ist immer wieder eine Freude zu sehen, mit welcher Hingabe Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich um die Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler kümmern, was sie alles in Bewegung setzen, damit die Gäste während ihres Aufenthalts in unserem Land gut leben, gut arbeiten können. Ihre Stiftung ist eine herausragende Botschafterin für unser weltoffenes und zukunftsorientiertes Wissenschaftsland – und dafür meinen herzlichen Dank.

Liebe Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler, mein ganz besonderer Dank geht heute natürlich auch an Sie: Ich danke Ihnen dafür, dass Sie hier sind, dass Sie sich für einen Forschungsaufenthalt bei uns in Deutschland entschieden haben. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie unser Land mit Ihren Erfahrungen, Ihrem Wissen, Ihren Ideen bereichern. Und ich danke Ihnen dafür, dass Sie uns vor Augen führen, was wir gemeinsam bewegen können, in Deutschland, in Europa und weltweit. Ganz offen gesagt: Sie alle stiften Zuversicht in einer Zeit, in der es wohl niemandem leichtfällt, zuversichtlich zu sein. Denn Sie alle stärken, was uns verbindet – hier in Deutschland, in Europa, weltweit. Und dafür ein besonderes Dankeschön.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Forschungsvorhaben. Ich wünsche Ihnen aber auch, dass Sie während Ihres Aufenthalts Gelegenheit haben, unser schönes und vielfältiges Land zu entdecken, dass Sie inspirierende Menschen kennenlernen, im Archiv, im Labor genauso wie abends in der Kneipe beim Fußballgucken. Viele Gastwissenschaftler der Humboldt-Stiftung bleiben Deutschland auch nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland verbunden – und ich finde, das ist dann das allerschönste Kompliment für unser Land.

Ich freue mich auf Sie, ich freue mich auf Gespräche und Begegnungen, und ich wünsche Ihnen und uns allen einen schönen Sommertag hier im Park von Bellevue.

Nochmals herzlich willkommen, und Ihnen allen meinen großen Dank!