Ordensverleihung während der "Ortszeit Nordhorn“

Schwerpunktthema: Rede

Nordhorn, , 17. Oktober 2024

Der Bundespräsident hat am 17. Oktober in seiner Rede bei einer Ordensverleihung im Kloster Frenswegen während der "Ortszeit Nordhorn" gesagt: "Wieder einmal [...] führt eine Ordensverleihung in einem kleinen Ausschnitt vor Augen, aus wie vielen guten Puzzlestücken unser Gemeinwesen [...] zusammengesetzt sein muss, damit es funktioniert, damit es für uns alle lebens- und auch liebenswert ist."

Ansprache bei der Ordensverleihung an engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Niedersachsen

Herzlich willkommen hier in klösterlicher Umgebung. Und herzlich willkommen zum Abschluss meiner drei Tage hier in dieser wunderbaren Stadt mit so vielen schönen Begegnungen und Gesprächen, die wir in den zurückliegenden Stunden und Tagen miteinander hatten.

Ein schöner Abschluss mit einer Ordensverleihung. Was ist eigentlich eine Ordensverleihung? Eine Ordensverleihung ist die vornehmste und schönste Aufgabe des Bundespräsidenten – das auch. Vor allem aber ist es ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit.

Öffentlichkeitsarbeit, wenn ich das so sagen darf, für gute Taten, für Projekte und Einrichtungen, die es ohne das wunderbare Wirken von Einzelnen oder von kleinen, hochmotivierten Gruppen gar nicht gäbe. Und ohne die unsere Gesellschaft ganz ohne Zweifel ärmer wäre, ohne die wir alle miteinander ärmer wären.

Viele, wenn nicht alle, die heute Morgen hier in Nordhorn ausgezeichnet werden, haben etwas geleistet – oder leisten immer noch etwas –, was in ihren eigenen Augen vielleicht das Selbstverständlichste der Welt ist. Deshalb machen sie in der Regel davon kein großes Aufhebens. Es gehört zu ihrem Leben, es macht einen wesentlichen Teil ihres Lebensinhaltes aus – und sie selber können sich oft kaum vorstellen, das etwa nicht zu tun oder getan zu haben - das, wofür sie heute geehrt werden.

So kommt es, dass gute Taten oft im Verborgenen bleiben. Aus Bescheidenheit. Eine mir sehr sympathische Scheu davor, sich selber ins Rampenlicht zu stellen. Das ist das Merkmal vieler Menschen, die sich für andere, für einen Verein, für die Stadt, für die Kirchengemeinde oder für ihr ganz persönliches Projekt einsetzen. Wer ein Ehrenamt ausübt, nimmt sich gerade deswegen, weil es ihm um die Sache, um die Inhalte geht und um die Menschen, für die er sich einsetzt, persönlich sehr oft zurück – obwohl man dabei hier und da natürlich auch öffentlich sichtbar wird, wenn man zum Beispiel zu einem Vorstand oder Präsidium eines Vereins oder Verbandes gehört.

Deshalb ist eine Ordensverleihung immer auch Öffentlichkeitsarbeit, wenn Sie so wollen, Spurensuche nach guten Taten, Aufdeckung von Engagement, Anerkennung für den Einsatz für das Gemeinwohl – und sie zeigt immer wieder, wie sehr das ehrenamtliche Engagement unsere Gesellschaft in weiten Teilen stützt – noch mehr als stützt, eigentlich trägt.

Gleichzeitig mag solch eine Ordensverleihung aber auch eine Ermutigung, mindestens eine Ermunterung für andere sein, vielleicht einmal selber zu überlegen, wo es etwas gibt, für das man sich einsetzen könnte oder wo andere Menschen schlicht und einfach Hilfe brauchen, an die bisher noch niemand so richtig gedacht hat: Auf vieles muss man einfach erst kommen!

Immer wieder bin ich ja selber überrascht und tief berührt, wenn ich bei Ordensverleihungen erfahre, wie bunt und wie vielfältig, wie ideenreich und entschieden, wie hingebungsvoll und beharrlich ehrenamtliches Engagement in unserem Land tatsächlich ist. Und wie buchstäblich notwendig im Sinne von Not wendend es ist, weil hier manchmal auch Leerstellen erspürt und gefüllt werden, wo der Staat, das Land und die Kommune nicht wirken können, nicht wirken wollen – oder vielleicht auch gar nicht wirken sollten.

Heute hören wir beinahe jeden Tag, was in unserem Land angeblich nicht gut laufe, woran es hier fehlt und woran es dort mangelt und was dringend besser werden muss. An den Klagen und Beschwerden mag vieles richtig sein. Aber heute dürfen wir auch einmal darauf verweisen, was sich alles an Gutem tut. Denn eine kleine, aber doch entscheidend wichtige Antwort auf die Herausforderungen unserer Gegenwart ist genau das, was Sie tun! Ihre Bereitschaft, Hilfe zu geben, sich Zeit für andere zu nehmen, sich um mehr zu kümmern als nur um die eigenen Angelegenheiten.

Sie wissen inzwischen: Im Rahmen meiner Ortszeit verlege ich regelmäßig für drei Tage meinen Amtssitz von Berlin in eine kleinere oder mittlere Stadt, meistens in eher ländlichen Regionen. Meine dreizehnte Station ist Nordhorn. Ich konnte die vergangenen drei Tage hier verbringen und mit vielen Menschen ins Gespräch kommen. Dabei habe ich eine Stadt erlebt, in der das Engagement für andere für sehr viele Mitbürgerinnen und Mitbürger tatsächlich zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Nicht nur warten auf andere, nicht Defizite beklagen, sondern selbst aktiv werden – das ist wahrer Bürgersinn und ich finde, hierfür gibt es gerade in dieser Region gute Beispiele.

Dieses Engagement, das hier in Nordhorn und auch in der näheren und weiteren Umgebung zu finden ist, jetzt beispielhaft zu ehren, das bildet in der Tat einen schönen und passenden Abschluss meiner Ortszeit.

Ich werde gleich ja noch im Einzelnen auf das jeweils besondere Engagement eingehen und es würdigen. Aber es beeindruckt auch, wenn man sich einmal, sozusagen kompakt, in aller Kürze vor Augen führt, worum es den heute zu Ehrenden gegangen ist und bei vielen auch noch geht.

Oft geht es darum, Menschen nicht allein zu lassen mit ihren besonderen Nöten oder Bedürfnissen - zum Beispiel Schülerinnen und Schüler nicht alleinzulassen, wenn sie sich allzu schwer tun bei Hausaufgaben oder vor Klassenarbeiten und ihnen auf findige Weise zu helfen. Oder Geflüchtete mit ihren traumatischen Erfahrungen nicht alleinzulassen und Zuwanderern dabei zu helfen, sich in einem neuen Umfeld zurechtzufinden und zu neuen Gemeinschaften dazuzugehören.

Andere stehen Menschen in existenziellen Nöten zur Seite, trösten Trauernde und Hinterbliebene, geben unter Schock stehenden Zeugen von schweren Unfällen Kraft und Hilfe oder unterstützen Wohnungslose, stehen Menschen ohne Krankversicherung bei, helfen Süchtigen, einen neuen Anfang zu wagen.

Wieder andere sehen für sich die Aufgabe, Kreativität zu fördern, ja, junge Menschen überhaupt ihre Kreativität entdecken zu lassen und ihnen dafür Räume und Gelegenheiten zur Verfügung zu stellen; oder – auch das ganz ähnlich – dafür zu sorgen, dass Sportvereine funktionieren, dass Sport von jedem betrieben werden kann, der das gerne im Verein tun will und so auch auf diese Weise, durch Sport, Gemeinschaft neu erleben und beleben.

Andere wieder kümmern sich darum, die Geschichte, gerade die Orts- und Regionalgeschichte, im Gedächtnis lebendig zu erhalten, im Guten wie im Bösen: die Erinnerung zu bewahren und so das Bewusstsein für Heimat und Identität zu stärken.

Und es gibt die, die das Bewusstsein für die Eine Welt stärken, indem sie Partnerschaften initiieren und über lange Jahre wichtige Projekte fördern über Kontinente hinweg; oder die sich – wieder ganz vor Ort – stark machen für eine intakte lokale Infrastruktur, für lebendigen Einzelhandel, für eine lebenswerte Umwelt- und Verkehrspolitik, aber auch für ein lebendiges Dorf- und Vereinsleben, für die Unterstützung von Familien und Alleinstehenden gerade im ländlichen Raum.

Letztlich geht es immer um das Stärken von Gemeinschaft. Keiner soll allein bleiben. Jeder hat Stärken, die er einbringen kann und jeder hat Schwächen, wo er vielleicht auch mal die Hilfe von anderen benötigt.

Wieder einmal, und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, führt uns eine Ordensverleihung in einem ganz kleinen Ausschnitt vor Augen, aus wie vielen guten Puzzlestücken unser Gemeinwesen insgesamt zusammengesetzt ist. Aber es führt uns vielleicht auch vor Augen: Aus wie vielen guten Puzzlestücken unser Gemeinwesen zusammengesetzt sein muss, damit es funktioniert, damit es für uns alle lebens- und auch liebenswert ist.

Es ist ein Paradox. Wir brauchen oft gerade das am meisten, was man am allerwenigsten einfordern kann. Ehrenamt und Engagement, das sehen wir bei Ihnen, geschieht immer freiwillig. Es ist ein schöner, ein unersetzlicher Gebrauch der Freiheit: sich einzusetzen für andere.

Wenn ich Sie, meine Damen und Herren, liebe zu Ehrende, jetzt mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichne, dann drücke ich damit den Dank unseres gesamten Landes für Ihren Dienst an uns allen aus – und auch den Dank für die viele Mühe, für die manchmal im Verborgenen bleibende Mühe, die Sie das auch oft gekostet haben mag.