Das einzige Kapital in meinen Händen, ein paar griechische Wörter. Sie sind bescheiden, aber lebendig, weil sie ständig auf den Lippen eines ganzen Volkes sind. Sie sind dreitausend Jahre alt, aber ebenso frisch, als kämen sie eben aus dem Meer. [...] Das ist das Wort O Ouranos – Himmel, das ist das Wort I Thalassa – Meer, das ist das Wort O Ilios – Sonne, das ist das Wort I Eleftheria – Freiheit.
So bedankte sich der griechische Dichter Odysseas Elytis im Jahr 1979 für den ihm verliehenen Literaturnobelpreis. Himmel, Meer, Sonne, Freiheit – vier einfache Worte, seit Jahrtausenden unverändert, die dazu dienen sollen, die Seele seines Landes zu beschreiben, die helfen sollen, die Hellenische Republik, Griechenland zu verstehen.
Natürlich reichen diese vier Worte nicht annähernd aus, um Griechenland zu begreifen. Philosophie, Demokratie, Dramaturgie, Dichtkunst sind weitere Zuschreibungen, die einem auf Anhieb einfallen und die zweifelsfrei genauso zu Griechenlands Identität gehören. Es gibt kaum ein Land, das unsere gemeinsame europäische Zivilisation stärker geformt hat, kaum ein Land, von dem wir, gerade wir Deutschen, so ein intimes Verständnis zu haben glauben, weil wir so vieles von unserer Kultur hier in Griechenland verwurzelt wissen. Griechenland scheint uns gedanklich und emotional noch viel näher, als es räumlich ist. Die Entwicklung meines Landes, sie wurde auch durch die altgriechische Kultur fundamental und vor allem nachhaltig geprägt.
Uns verbindet heute weit mehr als unsere gemeinsame Geschichte und Kulturgeschichte. Das sieht man an den vielen gegenseitigen politischen Besuchen dieser Zeit, das sieht man auch an meinem Besuch, der für die Vielfalt unserer Verbindungen steht. Sehr geehrte Frau Staatspräsidentin, meine Frau und ich sind dankbar, dass Sie uns gestern in Thessaloniki empfangen haben! Dass wir meinen inzwischen vierten Besuch als Bundespräsident in Ihrem schönen Land mit Ihnen gemeinsam in Ihrer Heimatstadt beginnen konnten, ist Ausdruck echter Wertschätzung. Wir beide teilen nicht nur eine Leidenschaft für das Verfassungsrecht, wir teilen auch die Überzeugung, dass kein Land alleine die großen Herausforderungen unserer Zeit lösen kann. Nach einer Zeit der Krisen in Europa, von denen einige auch unser Verhältnis belastet haben, setzen wir heute aus voller Überzeugung auf mehr Zusammenarbeit in Europa. Die schweren Tage der deutsch-griechischen Beziehungen vor zehn, fünfzehn Jahren haben wir hoffentlich dauerhaft hinter uns gelassen. Heute sind unsere wirtschaftlichen Beziehungen erfreulich eng, wir arbeiten vertrauensvoll in der Europäischen Union zusammen, wir sind Partner in der NATO. Aber es sind insbesondere die menschlichen Bande, es sind die Wanderer zwischen den Welten, geprägt von beiden Kulturen, die unsere Länder immer wieder zusammenführen – dafür stehen stellvertretend auch der Maler Aris Kalaizis, Fußball-Legende Otto Rehhagel und der Journalist Georgios Pappas, Menschen, die mich auf dieser Reise von Deutschland hierher nach Griechenland begleiten. 360.000 Griechinnen und Griechen sind in Deutschland zu Hause. Und umgekehrt ist für tausende Deutsche Griechenland zur Heimat geworden.
Und deshalb möchte ich noch vier weitere Worte heute mitbringen, die ich, auch ganz persönlich, mit Griechenland verbinde: Das ist das Wort Filoxenia – Gastlichkeit, das ist das Wort Zestasiá – Wärme, das ist das Wort Empistosýni – Vertrauen, das ist das Wort Filia – Freundschaft.
Es gibt so viele starke Worte, um Griechenland zu beschreiben, und dennoch ist scheinbar nie genug gesagt. Der Literaturnobelpreisträger Elytis stellte letztlich fest, dass Sprache allein möglicherweise gar nicht ausreicht: Griechenland, ich bin seit langem zu diesem Schluss gekommen, ist eine konkrete Sinnesempfindung – es wäre lohnend, ein graphisches Symbol dafür zu finden […].
Vielleicht würde das einiges einfacher machen. Bis es jedoch soweit ist, erheben wir das Glas auf den Himmel, das Meer, die Sonne und die Freiheit – auf Griechenlands Gastlichkeit, Wärme, Vertrauen und Freundschaft!
Vielen Dank, dass wir heute hier sein dürfen! Yamas!