Hier in der Markuskirche gibt es – wenn man alle Ecken und die Empore ausfüllt – 530 Sitzplätze, manche allerdings mit eingeschränkter Sicht. Beim "Wort zum Sonntag" ist das anders, da gibt es eine unbegrenzte Zahl an Sitzplätzen – sogar deutlich bequemere: Sessel, Sofas, und meistens mit freier Sicht.
Das erklärt Gott sei Dank nicht alles, aber: Woche für Woche verfolgen mehr als eine Million Zuschauer "Das Wort zum Sonntag". So viele Menschen brächten selbst der Kölner und der Berliner Dom über Jahre bei Weitem nicht unter. Anders gesagt: "Das Wort zum Sonntag" ist eine Erfolgsgeschichte, und das seit 70 Jahren. Ich freue mich, dass wir diesen Erfolg – und ich möchte betonen: diesen ökumenischen Erfolg – heute gemeinsam feiern können, und gratuliere Ihnen herzlich! Sie, die Sie alle zu diesem Erfolg beigetragen haben, können stolz darauf sein. Meinen herzlichen Glückwunsch!
Die Erfolgsgeschichte des "Wort zum Sonntag" hat durchaus etwas mit dem Sessel und der freien Sicht zu tun. Am Anfang vor 70 Jahren stand eine geniale Idee: Die Kirche kommt zu den Menschen nach Hause. Die Menschen müssen nicht in die Kirche gehen, und sie müssen natürlich auch kein Kirchenmitglied sein. Bekennen muss niemand etwas. "Das Wort zum Sonntag" kann auch gucken, wer das in seinem Freundeskreis niemals zugeben würde. Und aus den Zuschriften, die Sie erreichen, wissen Sie: Unter den Zuschauerinnen und Zuschauern des "Wort zum Sonntag" sind durchaus auch Menschen, die sonst in ihrem Leben nichts oder nichts mehr mit Religion und Kirche zu tun haben.
Und zu Zeiten der deutschen Teilung wurde die Sendung auch in der DDR geschaut, zumindest da, wo Westfernsehen zu empfangen war. In kirchlich geprägten Familien in der DDR wurde "Das Wort zum Sonntag" als wichtiger Moment der Stärkung in einer ansonsten kirchenunfreundlichen Umgebung erlebt. 1991 kamen dann auch Stimmen aus den neuen Bundesländern ins Sprecherteam.
Als 'produktive Unterbrechung' zum Nachdenken über Gott und die Welt
hat die Deutsche Bischofskonferenz die kleine, feine Sendung einmal treffend bezeichnet. Damit hat sie zugleich das zweite Erfolgsgeheimnis benannt: Gott und die Welt, um nicht mehr, aber auch nicht weniger geht es im "Wort zum Sonntag". Die Sendung war von Anfang an weder ein theologisches Proseminar noch Bibelexegese. Die Welt ist immer zu Gast im "Wort zum Sonntag", ob – um zwei der derzeitigen Sprecherinnen und Sprecher zu nennen – Pastoralreferentin Lissy Eichert ihre Neuköllner Nachbarschaft beschreibt oder Pfarrer Alexander Höner sich fragt, ob seine Berufswahl richtig war.
Mal kommt "Das Wort zum Sonntag" aus einem Bahnhof, mal von einer Autobahnbrücke. Und manchmal wird es richtig bunt: wenn etwa – anlässlich des European Song Contest – Olivia Jones dabei ist. Auch Ereignisse, die Geschichte schrieben, griffen Sie auf: den Bau der Berliner Mauer und den Mauerfall, die Anschläge von 9/11 und natürlich die Corona-Pandemie, all das war Thema im "Wort zum Sonntag". Schwierige Themen und Fragen haben Sie nie gescheut – auch nicht die schmerzhaften, die die Kirchen selbst betreffen, wie den Missbrauch. Im "Wort zum Sonntag" sprechen Sie aus christlicher Perspektive über das, was die Menschen bewegt. Ihre Sendung kommt nicht nur in die Wohnzimmer, sie ist in der Welt der Menschen zu Hause.
Es gibt noch ein drittes Erfolgsgeheimnis. "Das Wort zum Sonntag" ist sich treu geblieben. Es ist zwar kürzer geworden und hat sich damit den heutigen Sehgewohnheiten angepasst. Aber das gilt für die Beiträge in der "Tagesschau" genauso – der einzigen Sendung im deutschen Fernsehen, die älter ist. Bei den Themen gehen Sie mit der Zeit und sind aktuell, doch Format und Anspruch des "Wort zum Sonntag" haben sich nicht geändert, und das halte ich für wichtig. Zwar wechselt manchmal eben die Kulisse, aber weder erreicht uns "Das Wort zum Sonntag" heute als schriller Videoclip noch als Talkshow. Nein, da steht einfach ein Mensch und spricht zu uns. Immer abwechselnd katholisch oder evangelisch, und seit 1957 auch als Sprecherin. Übrigens war das – wenn ich das kurz einschieben darf – damals höchst ungewöhnlich im Fernsehen. Wer alte Talkshows anschaut, sieht rauchende Männer, Frauen mussten sich lange mit der Rolle als Fernsehansagerin begnügen. Sie, die Kirchen, waren hier Ihrer Zeit voraus.
Auch Ihren inhaltlichen Anspruch haben Sie immer aufrechterhalten. "Das Wort zum Sonntag" wirft ethische und gesellschaftlich relevante Fragen auf, entwickelt Gedanken – mit Ruhe und in einer warmen und sorgsamen Sprache. Das können wir heute, in einer Zeit, in der wir eine zunehmende Verrohung der Sprache nicht nur in den sogenannten sozialen Medien erleben, gar nicht hoch genug schätzen! Eine Demokratie braucht Debatten, aber wir müssen diese Debatten mit Respekt vor dem anderen führen. Wenn wir diesen Respekt nicht bewahren, wenn immer mehr Hetze und Diffamierung unsere Debatten prägen, gefährdet das nicht nur unsere Sprachkultur, sondern letztlich unsere Demokratie selbst. Umso wichtiger ist ein Anker wie "Das Wort zum Sonntag", das sich dieser Enthemmung in der Sprache und im Denken entgegenstellt.
Ja, auch nach 70 Jahren: Wir brauchen diese Stimme der Kirchen, ihre gesellschaftliche Intervention, nicht nur am Sonntag. Gerade in einer Zeit der Krisen, in einer Zeit, in der Veränderungen immer schneller stattfinden und viele Menschen sich verunsichert und überfordert fühlen, können sie Orientierung geben. Sie können ethische Debatten in der Gesellschaft anregen, führen und vorantreiben. All das gelingt Ihnen mit dem "Wort zum Sonntag".
Und darum möchte ich Ihnen vor allen Dingen von Herzen danken! Ich danke den Kirchen und der ARD dafür, dass sie an diesem kleinen, feinen Fernsehformat über all die Jahre festgehalten haben. Vor allem aber bedanke ich mich bei allen Beteiligten für den großen Dienst an unserer Gesellschaft, den sie Woche für Woche mit dem "Wort zum Sonntag" leisten – und hoffentlich noch lange leisten werden!
Wenn ich ganz kurz beschreiben sollte, was das ist, "Das Wort zum Sonntag", dann würde ich sagen: Für viele Menschen in unserem Land ist es ein unverzichtbarer Teil ihres Lebens, und sie schalten jede Woche genau aus diesem Grund den Fernseher ein. Aber es gibt auch die, die am Samstagabend nach den Tagesthemen aufstehen, um für den Spätfilm wiederzukommen – und dann plötzlich stehen bleiben. Was hat der Sprecher, was hat die Sprecherin da gerade gesagt? Und ehe man sichs versieht, sitzt man wieder im Sessel und hört zu. Hört das "Wort", und irgendwann geht man schlafen – nachdenklich, getröstet, ermutigt, versöhnt. Das ist "Das Wort zum Sonntag".
Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch!