Was macht ein Bundespräsident an einem schönen Sommerabend in Weiden in der Oberpfalz? Er spielt Fußball. Also, zumindest ein wenig habe ich bei den Mädchen und Jungen vom FC Weiden-Ost mitgekickt. Wie Sie vielleicht wissen, verlege ich meinen Amtssitz immer wieder für drei Tage in kleinere und mittelgroße Orte, und im Juni waren wir dann in Weiden in der Oberpfalz zu Gast. Und natürlich habe ich nicht nur mit den Jugendlichen gekickt, sondern mich auch mit ihnen und den Betreuern unterhalten, denn darum geht es mir bei den "Ortszeiten": mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
Warum ich jetzt daran denken muss? Weil der FC Weiden-Ost für viele Vereine in unserem Land steht: Sport von den Bambini-Mannschaften bis zu den Senioren und ganz viele Ehrenamtliche, die sich engagieren, die alles am Laufen halten. Es war eine tolle Atmosphäre, die mich an meine eigene Jugend im TuS 08 Brakelsiek erinnert hat. Ein paar Monate zuvor war ich im saarländischen Völklingen im Boxclub zu Gast. Und ich war beeindruckt zu sehen, wie wichtig dieser Ort für viele junge Männer und Frauen in der Stadt ist, gerade für die, die es nicht so ganz einfach haben. Hier machen sie nicht nur Sport. Hier kommen sie zusammen, hier tauschen sie sich aus. Und hier lernen sie auch, was es für eine gute Gemeinschaft braucht.
All das findet in Deutschland zehntausendfach statt – der Sport verbindet Menschen. Und das kann er nur, weil es Menschen wie Sie gibt, die Sie alle heute ins Schloss Bellevue gekommen sind: Menschen voller Elan, mit ansteckender Energie und Lebensfreude, Menschen mit einem großen Herzen und mit Sportsgeist. Ich freue mich sehr, Sie heute hier zu Gast zu haben. Seien Sie uns herzlich willkommen im Schloss Bellevue!
Sportkarrieren fangen oft ganz klein an, oft in der Nachbarschaft, an der Reckstange auf dem Spielplatz, an der verschrammten Tischtennisplatte in der Grünanlage oder beim Wettrennen zum Garagenplatz. Viele Spitzensportlerinnen und -sportler können solche Geschichten aus ihrer Kindheit erzählen.
Sie berichten allerdings auch darüber, wer alles für sie da war: Trainer und Trainerinnen, die sie förderten und immer wieder Mut machten, Eltern, die sie an den Wochenenden zu Wettkämpfen fuhren, die Trikots wuschen, Vereinsmitglieder, die Sportanlagen herrichteten, Menschen, die sagten "das mach ich", wenn es irgendetwas zu machen gab. Und ich glaube, diese Unterstützung ist für viele Kinder und junge Menschen, auch für spätere Spitzensportlerinnen und -sportler, eine ganz wichtige Erfahrung. Es heißt ja, für die Erziehung eines Kindes brauche man ein ganzes Dorf. Damit aus einem Talent ein Spitzensportler wird, so scheint mir, braucht es fast eine Kleinstadt. Wir haben heute ehemalige Spitzensportlerinnen und -sportler unter uns, die das so ähnlich vielleicht auch erfahren haben und vermutlich schildern könnten.
Und doch: Trotz aller Unterstützung gibt es viele Mädchen und Jungen, die immer noch nicht genügend erreicht werden von diesen Angeboten. Es gibt tausenderlei Gründe, warum Kinder und Jugendliche keinen Sport treiben – obwohl sie das insgesamt voranbringen würde. Mal ist der Eintritt zum Schwimmbad zu teuer, mal fehlt ein Trainer, oder in der Heimat der Eltern spielte Sport keine große Rolle. Warum sollten sie ihr Kind hier in Deutschland in einem Verein anmelden?
Mit solchen Hindernissen haben Sie, meine Damen und Herren, sich jedoch nicht abgefunden, im Gegenteil: Sie haben mit Ihrem Engagement viele Türen geöffnet. Und dabei geht es gar nicht in erster Linie um spätere Spitzensportlerinnen und -sportler, die uns sonst vielleicht verloren gegangen wären. Sondern es geht um viel mehr: zuvörderst um Bewegung und Gesundheit, aber auch um soziale Integration, um Chancengleichheit, um Selbstbestimmung.
Sport ist im Verein am schönsten: In Deutschland sind knapp 29 Millionen Menschen, eine unglaubliche Zahl, Mitglied in einem Sportverein, ein neuer Rekord. Und etwa zwei Millionen Menschen engagieren sich regelmäßig ehrenamtlich in Sportvereinen – in der Tat beeindruckende Zahlen. Hinzu kommen viele, viele Menschen, die sich außerhalb von Vereinen sportlich betätigen und engagieren, so wie auch einige von Ihnen.
Fest steht allerdings auch: Es sind weniger Frauen als Männer, die Sport im Verein treiben. Noch immer fehlt es häufig an Angeboten für Mädchen. Daher bleibt die gezielte Förderung von Mädchen und Frauen so wichtig. Daher brauchen wir geschützte Räume, in denen sie sich entfalten können. Und vielleicht kann man sagen: Immerhin sind wir auf dem richtigen Weg. Als im Jahr 1900 Frauen zum ersten Mal bei Olympia teilnehmen durften, lag ihr Anteil bei 2,2 Prozent. In diesem Sommer in Paris waren hingegen zum ersten Mal in der Geschichte bei den Olympischen Spielen und Paralympischen Spielen ebenso viele weibliche wie männliche Athletinnen und Athleten am Start. Im Breitensport sind wir allerdings in Deutschland noch weit davon entfernt.
Noch größeren Nachholbedarf im organisierten Sport gibt es bei anderen gesellschaftlichen Gruppen: bei Menschen mit Beeinträchtigungen sowie bei sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Sind es bei ihnen oft die fehlenden finanziellen Mittel, so scheitert die Teilhabe bei Menschen mit Beeinträchtigungen auch im Sport oft daran, dass die notwendige Infrastruktur fehlt.
Es bleibt eine Tatsache: Ausgerechnet die Menschen sind seltener in Vereinen, die es in unserer Gesellschaft ohnehin oft schwerer haben. Dabei kann Sport erheblich zur sozialen Integration beitragen. Das Gemeinschaftserlebnis, Teamgeist, Anerkennung, ein stärkeres Selbstbewusstsein und – ich weiß, dass sich viele Vereine darum kümmern – auch der Spracherwerb, all das kann Sport mit sich bringen. Das kann inzwischen sogar die Wissenschaft belegen: Sport und vor allem Sportvereine – also Orte, an denen ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen, die ein gemeinsames Ziel haben – helfen anzukommen, eine Heimat zu finden.
Sport verbindet. Er verbindet über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg, über Jung und Alt, über unterschiedliche Lebenswelten, sogar über unterschiedliche politische Ansichten.
Doch manchmal fehlt leider eine entscheidende Verbindung, nämlich die Busverbindung. Gerade auf dem Land ist es oft gar nicht einfach, Sport zu treiben. Es fehlen Turnhallen oder taugliche Sportplätze. Von einem Schwimmbad ganz zu schweigen. Die Bäder beklagen landauf, landab Mangel an Aufsichtspersonal oder Sanierungsstau. Schwimmen ist jedoch nicht nur wichtig für die Gesundheit und bringt Spaß, sondern Schwimmen kann lebensrettend sein. Durch die Corona-Pandemie, in der Schwimmunterricht nicht stattfinden konnte, haben wir immensen Nachholbedarf. Besorgniserregend ist: Die Zahl der Nichtschwimmer ist unter Grundschulkindern aus einkommensschwachen Haushalten viermal so hoch wie unter Kindern aus wohlhabenderen Familien. Chancengerechtigkeit bedeutet aber, dass alle gleichermaßen die Möglichkeit haben, Schwimmen zu lernen – unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern und von ihrem Wohnort.
Zum ganzen Bild der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports gehört aber das soziale Engagement der Vereine. Und darüber hinaus das soziale Engagement der Sportler selbst. Es gibt inzwischen viele, die ihre Prominenz für karitative Zwecke nutzen, die sich für Toleranz und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen.
Ich habe – in aller Kürze – die vielfältige Wirkung von Sport in unserer Gesellschaft geschildert und hoffentlich deutlich gemacht, wo es noch fehlt. Und genau hier – um in der Sportsprache zu bleiben – kommen Sie ins Spiel, Sie, die heute geehrt werden. Denn Sie alle verbindet, dass Sie über den Sport Türen öffnen und in unsere Gesellschaft positiv hineinwirken. Sie öffnen Türen genau für jene, die ich eben beschrieben habe – auch für die Menschen, für die sie viel zu oft verschlossen bleiben. Sie wissen um die verbindende, die integrative Kraft, die Sport entfalten kann. Bei einigen von Ihnen hat das Engagement auch mit der eigenen Biographie zu tun, mit der Erfahrung, vielleicht auch selbst am Rand gestanden zu haben, nicht richtig dazuzugehören.
Doch Sie alle haben das Ziel, dass niemand im Aus steht. Sie wollen Fair Play in unserer Gesellschaft, nicht nur auf dem Spielfeld. Deshalb sind Sie aktiv geworden, weit über den Sport hinaus, und einige von Ihnen machen das schon seit Jahrzehnten. Und das beeindruckt mich wirklich sehr.
Wir haben heute über die Veranstaltung das Motto "Sport tut Gut(es)" geschrieben. In der Tat: Sport tut uns allen gut, und Sport tut Gutes. Vor allem aber tun Sie Gutes. Ihr Einsatz für den Sport und für unser Land ist außergewöhnlich und in jeder Hinsicht vorbildlich!
Dafür möchte ich Ihnen heute im Namen der Bundesrepublik Deutschland von ganzem Herzen danken. Ich freue mich sehr, Ihnen heute das Bundesverdienstkreuz verleihen zu dürfen! Zugleich möchte ich an dieser Stelle auch herzlich Susanne Daubner danken, die uns gleich in gewohnter Weise souverän durch die Veranstaltung führt.
Jetzt schon einen herzlichen Glückwunsch an alle, die heute ausgezeichnet werden!