Der große Neujahrsempfang ist vorbei, so langsam wird es wieder etwas übersichtlicher hier im Schloss Bellevue. Wir alle haben heute Vormittag Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein- und ausgehen sehen; wir haben Gespräche geführt, Eindrücke gesammelt, viele Hände geschüttelt. Meiner Frau und mir hat das viel Freude gemacht, und ich hoffe, Ihnen ist es auch so gegangen!
Nach all dem Trubel dürfen Sie jetzt gern einmal durchatmen. Dieses Mittagessen, liebe Gäste, ist ein Dankeschön für Ihren großartigen Einsatz für das Gemeinwohl. Fühlen Sie sich also bitte wie zu Hause, und seien Sie uns ganz herzlich willkommen im Schloss Bellevue!
Es ist ein außergewöhnlich politischer Jahresbeginn, den wir gerade erleben, das war vorhin beim Neujahrsempfang auch deutlich zu spüren, einem Neujahrsempfang sechs Wochen vor neuen Wahlen in Deutschland. Die bevorstehende Bundestagswahl bewegt die Menschen, nicht nur in Berlin, sondern überall in unserem Land. Sie bringt uns ins politische Gespräch, löst Diskussionen aus, sorgt manchmal auch für Streit, so wie das in einer Demokratie sein soll und sein muss, solange es friedlich, respektvoll und fair zugeht.
Den allermeisten ist bewusst, dass es am 23. Februar um sehr viel geht. Wir stehen vor einer wegweisenden Wahl, unser Land braucht in dieser Zeit der Umbrüche, Krisen und Konflikte möglichst schnell eine handlungsfähige Regierung. Wir brauchen möglichst schnell wieder politische Stabilität in unserem Land. Ich wünsche mir, dass wir die kommenden Wochen nutzen, um über wichtige Zukunftsfragen zu diskutieren – darüber, wie wir unsere Wirtschaft stärken, wie wir Einwanderung in Zukunft steuern, wie wir Sicherheit, äußere und innere Sicherheit aufrechterhalten, wie wir das Klima schützen wollen. Ob im kleinen Kreis oder in der großen Öffentlichkeit: Wir brauchen jetzt vernünftige Debatten auf der Grundlage von Fakten, wir brauchen den respektvollen Streit mit Argumenten.
In dieser Zeit, in der freiheitliche Demokratien im Innern und von außen angegriffen werden, da tragen alle Wählerinnen und Wähler Verantwortung für das gemeinsame Ganze, für ein gutes Miteinander, Verantwortung auch für unsere Demokratie. Ich finde, diese Einsicht sollte uns am 23. Februar leiten, so unterschiedlich unsere Meinungen im Einzelnen auch sind und sein mögen: Gehen wir wählen, und wählen wir mit Verantwortung für das gemeinsame Ganze! Entscheiden wir uns für eine demokratische Zukunft, in der hoffentlich auch weiterhin Verständigung, Zusammenarbeit und Kompromisse möglich bleiben! Stimmen wir für eine offene Gesellschaft, in der Menschenfeindlichkeit keinen Platz findet! Verteidigen wir unsere Demokratie, und halten wir sie stark!
Niemand weiß es so gut wie Sie: Die Arbeit für unsere Demokratie ist am Wahltag nicht getan. Es reicht nicht aus, die Stimme abzugeben und dann vier Jahre lang nur zuzuschauen. Unsere Demokratie braucht Bürgerinnen und Bürger, die sich tagtäglich für andere und für ein gutes Miteinander in unserem Land einsetzen.
Um es mit einem schönen alten Wort zu sagen: Unsere Demokratie braucht Gemeinsinn. Sie braucht Bürgerinnen und Bürger, die nicht nur um sich selbst kreisen, sondern bereit sind, Verantwortung auch für Mitmenschen zu übernehmen. Sie braucht Menschen, die sich von Krisen und Katastrophen nicht entmutigen lassen, sondern gerade heute, gerade in dieser Zeit ganz pragmatisch fragen: Was kann ich hier und jetzt Sinnvolles für das Gemeinwohl tun?
Sie alle haben sich diese Frage gestellt, und Sie haben unterschiedliche Antworten gefunden. Hier im Saal ist heute das Ehrenamt in seiner ganzen Vielfalt versammelt. Manche von Ihnen sind für alte und einsame Menschen da, begleiten Sterbende im Hospiz, beraten und trösten Angehörige. Andere kümmern sich um Kinder und Jugendliche, stärken sie zum Beispiel durch Sport- oder Zirkusprojekte. Wieder andere unterstützen Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen, ob sie nun ein Rollstuhlcafé betreiben oder eine Selbsthilfegruppe leiten.
Hier im Saal sind heute auch Menschen, die Geflüchtete und Zugewanderte dabei unterstützen, in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen. Andere setzen sich für Menschen ein, die Ausgrenzung und Benachteiligung erleben. Viele von Ihnen, liebe Gäste, engagieren sich für politische Bildung, halten die Erinnerung an Diktatur und Unrecht wach, kämpfen auf verschiedene Weise gegen Menschenfeindlichkeit, Hass und Gewalt.
Aber damit nicht genug! Bei uns sind heute auch Menschen, die das Kulturleben auf dem Land bereichern, indem sie kleine Kinos betreiben, Museen gründen oder lokales Brauchtum pflegen. Einige von Ihnen sind hier im Saal – die kann man am leichtesten erkennen –, die sich im Katastrophenschutz, im Rettungsdienst, bei der DLRG, dem THW oder der Feuerwehr engagieren. Andere kümmern sich um die medizinische Versorgung von Menschen in armen und krisengeschüttelten Ländern, bringen den Umwelt- und Klimaschutz voran oder setzen sich für das Tierwohl ein.
Alles in allem eine bunte Gesellschaft, eine wirklich tolle Tischgesellschaft, die wir hier versammelt haben! Sie alle schenken anderen Zeit, Hilfe und Freundlichkeit, und Sie tun das oft neben Ihren Verpflichtungen in Familie und Beruf. Sie schimpfen nicht auf andere, Sie packen an, um das, was nicht gut ist, besser zu machen. Sie schaffen Orte, an denen ganz unterschiedliche Menschen unserer Gesellschaft zusammenkommen, an denen sie im gemeinsamen Tun erfahren können, was sie verbindet. Und ich jedenfalls bleibe überzeugt: Bei aller Verschiedenheit, die uns auszeichnet – uns alle hier im Land verbindet viel mehr, als uns trennt. Ihr Engagement, liebe Gäste, bereitet den Boden, auf dem Respekt und Vertrauen, Mut und Zuversicht, Menschlichkeit und Gemeinsinn wachsen können – und nichts brauchen wir dringender in diesen Tagen als genau das.
Und das Beste ist: Sie sind nicht allein! Es gibt Millionen von Menschen in unserem Land, die sich Tag für Tag engagieren, ob im klassischen Ehrenamt, in einem Projekt oder einem Freiwilligendienst. Aber wir wissen eben auch: In unserer alternden Gesellschaft altert auch das Ehrenamt. Immer mehr Verantwortung lastet auf immer weniger Schultern. Manche Engagierte sind erschöpft, ausgepowert; manche geben auf, weil sie für das, was sie für die Allgemeinheit tun, sogar beschimpft, beleidigt oder angegriffen werden.
Ich weiß, das Ehrenamt ist eine wichtige Klammer in unserer pluralen Gesellschaft. Jung und Alt, begütert oder nicht, alteingesessen oder neu hinzugekommen – im Ehrenamt begegnet sich die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt. Wir brauchen das Ehrenamt, es verdient noch mehr Wertschätzung. Vor allem braucht es Nachahmer. Die Übernahme von Verantwortung im Ehrenamt muss wieder viel selbstverständlicher werden. Dazu müssen wir noch sichtbarer machen, was engagierte Bürgerinnen und Bürger in unserem Land alles bewirken, was sie alles bewegen.
Ich weiß, die meisten von Ihnen wollen Gutes tun, ohne dabei selbst im Scheinwerferlicht zu stehen. Viele meinen sogar, ihr Engagement sei doch ganz selbstverständlich und gar nicht der Rede wert. Auch diese Bescheidenheit ehrt Sie. Aber es ist wichtig, dass gesehen wird, was Sie tun, wie viel Sinn es stiftet, wie viel Freude es auch macht. Ihre Geschichten können andere ermutigen, sich ebenfalls zu engagieren. Deshalb meine Bitte: Stecken Sie andere an mit Ihrem Verständnis von Gemeinsinn!
Wir brauchen jetzt alle Kräfte der Mitmenschlichkeit, die in unserer Gesellschaft stecken. Und ich persönlich glaube, dass sogar eine soziale Pflichtzeit dazu ein guter Weg wäre, damit sich jeder einmal im Leben eine Zeit lang für andere, für die Gemeinschaft engagiert. Die Diskussion über diesen Vorschlag hält an; es gibt viel Zustimmung, auch Ablehnung. Sie alle, die Sie hier sitzen, Sie brauchen keine Aufforderung, sich zu engagieren, für Sie ist es selbstverständlich, und Sie tun es freiwillig.
Sie alle gehen mit gutem Beispiel voran. Sie alle machen Mut in dieser schwierigen Zeit. Haben Sie dafür meinen und den ganz herzlichen Dank des ganzen Landes! Ich freue mich jetzt auf unser gemeinsames Mittagessen, und wenn ich ein Glas hätte, dann würde ich es erheben: auf Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn, auf ein friedlicheres neues Jahr, auf unser gemeinsames Wohl! Danke, dass Sie da sind!