"Partnerschaften und Bündnisse lohnen sich"

Schwerpunktthema: Rede

München, , 14. Februar 2025

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Bundespräsident Steinmeier an die internationale Gemeinschaft appelliert, zusammenzuarbeiten. Er versicherte: "Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik bleibt europäisch, transatlantisch und multilateral."

Über der Stadt München liegt heute ein dunkler Schatten. Gestern hat ein Attentäter 36 Menschen zum Teil sehr schwer verletzt, darunter auch ein kleines Kind. Ich war eben am Tatort, und ich möchte allen Opfern und Angehörigen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken; und ich danke Ihnen, dass Sie es im Saal eben in gleicher Weise getan haben.

Sehr geehrte Gäste aus aller Welt, ich begrüße Sie herzlich zur 61. Münchner Sicherheitskonferenz. Welcome to Munich! Welcome to Germany!

Die meisten von Ihnen sind nicht zum ersten Mal hier, viele sind jedes Jahr dabei, wenn sich die weltweite Sicherheitscommunity zur kalten Jahreszeit in München versammelt. Sie kennen die zuweilen drangvolle Enge hier im Saal und auf den Fluren. Eine ganz besondere Atmosphäre, die hier Jahr für Jahr entsteht. Mein Wunsch gleich zu Beginn: Nutzen wir sie, diese besondere Konferenz, für respektvollen Austausch, für neue Ideen und Kontakte. Wir brauchen all das in diesen turbulenten Zeiten.

Ich danke dem bayerischen Ministerpräsidenten und dem Münchner Oberbürgermeister für die sprichwörtliche Gastfreundschaft, die wir hier genießen dürfen. Ich danke den Veranstaltern für die Planung und Organisation, für die Auswahl der Themen und die Einladung so vieler hochrangiger Gäste. Und ich danke ganz besonders Christoph Heusgen. Lieber Herr Heusgen, nicht nur für Ihre Führung der MSC in den vergangenen Jahren, sondern auch für ein langes Berufsleben im diplomatischen Dienst zum Wohle unseres Landes danke ich Ihnen als Bundespräsident von ganzem Herzen!

Vor fünf Jahren konnte ich die MSC zuletzt eröffnen. Die Veränderungen in der Welt seitdem könnten kaum dramatischer sein, und sie allein würden ein mehrstündiges Grundsatzreferat rechtfertigen. Aber ich werde schweren Herzens darauf verzichten. Ich möchte stattdessen vier Thesen umreißen, die wesentlich sind für unsere Außen- und Sicherheitspolitik in den nächsten Jahren und die mir persönlich am Herzen liegen.

Mein erster Punkt: Auf Deutschland ist Verlass. You can count on us! Ich muss mit diesem Punkt beginnen, auch wenn manche ihn für eine Selbstverständlichkeit halten. Aber diese Konferenz fällt in einen besonderen Moment meines Landes. In neun Tagen wählen die Deutschen ein neues Parlament, ein gutes halbes Jahr früher als geplant. Das ist in einem stabilitätsverwöhnten Land, das Pläne liebt, zwar ungewöhnlich, aber es ist kein Grund zur Sorge.

Unseren Partnern und Freunden sage ich: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik bleibt europäisch, transatlantisch und multilateral. Auch in einer Zeit des politischen Übergangs gilt: Wir verfolgen unsere Interessen, wir suchen nach gemeinsamen Lösungen, wir stellen unsere internationalen Partnerschaften breiter auf.

Und ausdrücklich will ich versichern: Europa bleibt Dreh- und Angelpunkt unserer Politik. Eine nächste deutsche Bundesregierung, gleich welcher Zusammensetzung, muss ihr Handeln daran ausrichten, europäische Gemeinsamkeit zu achten und zu fördern. Europäische Politik entsteht selten aus vorgegebenem Konsens, sondern im Suchen und Erweitern von Schnittmengen. Und auch wenn das anstrengend bleibt – seien Sie sicher: Deutschlands Herz schlägt auch in Zukunft für Europa.

Mein zweiter Punkt: Wir haben den Weckruf gehört. We got the message! Der 24. Februar 2022 war ein Epochenbruch – der Tag, an dem Russland völkerrechtswidrig die Ukraine überfiel; der Tag, an dem Putin die europäische Sicherheitsordnung in Trümmer riss.

Seit drei Jahren kämpfen die Ukrainerinnen und Ukrainer Tag für Tag um ihr Land und ihre Freiheit. Seit drei Jahren stehen wir gemeinsam an ihrer Seite: humanitär und finanziell, vor allem auch militärisch – Deutschland als weltweit zweitstärkster Unterstützer nach den USA. Und nach drei Jahren kann ich sagen: Europa hat den Weckruf gehört. Auch mein Land.

Deutschland hat seine Sicherheitsausgaben massiv gesteigert, gestützt von einer großen Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung. Wir wissen, das war notwendig. Aber wir wissen auch: Das ist kein Anlass zur Selbstzufriedenheit. Konkreter: Der Aufwuchs muss weitergehen. Unsere Bundeswehr muss stärker werden. Nicht um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern.

Wenn Gefahren wachsen, müssen unsere Fähigkeiten zur Abwehr von Gefahren mitwachsen. Das Zwei-Prozent-Ziel, wie wir es 2014 in Wales verbindlich gemacht haben, stammt aus einer anderen Zeit, einer anderen Bedrohungslage. Ein Jahrzehnt später werden wir deutlich mehr aufwenden müssen als damals vereinbart. Daran geht kein Weg vorbei, und jede neue Bundesregierung wird dafür die notwendigen finanziellen Spielräume schaffen müssen.

Seit 70 Jahren ist mein Land Mitglied der NATO. Ich finde, wir Deutsche sollten nicht nur nostalgisch zurückschauen – dankbar für sieben Jahrzehnte Sicherheit. Nein, wir müssen uns fragen, was wir der NATO heute schuldig sind, damit sie in 70 Jahren noch Freiheit und Sicherheit verteidigt. Ja, we got the message: Wir brauchen eine ausgeglichene Lastenteilung zwischen Europa und den USA. Die NATO muss auf zwei gleich starken Beinen stehen, damit sie für beide Seiten ihren Wert behält. Mein Land wird dazu seinen Beitrag leisten.

Natürlich reden wir dann nicht nur über den Aufwuchs europäischer Truppen, sondern auch über die Reduzierung amerikanischer Truppen in Europa. Ich habe darüber heute Morgen mit Vizepräsident Vance gesprochen, und ich habe ihm gesagt: Was immer Ihr entscheidet, besprecht es mit uns. Wir teilen das Ziel, also lasst uns den Weg dahin koordinieren. Jedenfalls kann keiner von uns das Interesse haben, Fähigkeiten der NATO kurzfristig zu schwächen oder die NATO gar langfristig in Frage zu stellen. Denn ein solches Bündnis, geboren aus der Stärke der Demokratien im 20. Jahrhundert, wird niemand im 21. Jahrhundert noch einmal gründen können, auch nicht die USA. Und selbst die Stärksten, auch die USA, werden in diesem 21. Jahrhundert auf Bündnispartner angewiesen sein.

Gemeinsame Stärke – genau das zählt auch jetzt für die Ukraine. Präsident Trump hat mit Präsident Putin und Präsident Selensky telefoniert, und ich bin sicher: Mögliche Wege zur Beendigung des Krieges werden auch hier in München im Zentrum vieler Diskussionen stehen.

Dass dieser Krieg zu Ende geht, wünschen sich alle. Wie dieser Krieg zu Ende geht, hat bleibenden Einfluss auf unsere Sicherheitsordnung und auf die Machtposition Europas und Amerikas in der Welt. Ich bin überzeugt: Ein bloßes "make a deal and leave" würde uns alle schwächen: die Ukraine und Europa – aber auch die USA. Deshalb erfordert jedes Szenario – sei es vor oder nach dem Ende von Kämpfen – unsere gemeinsame Abschreckungskraft und Stärke. Deshalb muss, in jedem Szenario, unsere Unterstützung der Ukraine weitergehen – die der Europäer, aber auch die der Amerikaner!

Ein dritter Punkt ist mir wichtig. Ich glaube, trotz aller Verwerfungen, an die internationale Gemeinschaft. Diplomacy is not a cage fight! Seit dem 20. Januar starren alle gebannt aufs Weiße Haus, und jeder fragt sich schon zu den Frühnachrichten: Was kommt als Nächstes, wer ist als Nächster dran?

All das füttert ja nicht nur die digitale Erregungsmaschine. Es hat reale Konsequenzen. Ich war vergangene Woche in Jordanien, just an dem Morgen, an dem Präsident Trump die Umsiedlung der Palästinenser aus Gaza in die Nachbarländer angekündigt hatte, und ich konnte auf den Straßen von Amman die blanke Angst um die Existenz ihres Landes spüren.

Ich will nicht jede Ankündigung, jeden öffentlich gewordenen Plan der letzten Tage im Einzelnen kommentieren oder bewerten. Im Gegenteil, ich wende mich an uns alle, die internationale Staatengemeinschaft, die in diesem Saal vertreten ist.

Ich frage uns: Wie wird diese Atemlosigkeit den Charakter internationaler Politik verändern? Können die nächsten vier Jahre nicht nur die Beziehungen der Weltmacht USA zu anderen Staaten verändern, sondern auch die Beziehungen aller Staaten untereinander? Wird die internationale Gemeinschaft dadurch als Ganze Schaden nehmen? Meine Antwort: Das liegt an uns! Wir sind Subjekte, nicht Objekte der internationalen Ordnung. Wir dürfen uns von der Flut der Ankündigungen nicht lähmen lassen. Wir dürfen nicht aus Angst erstarren, oder wie man im Englischen sagt: Let’s not be deer caught in the headlights!

Fest steht: Die neue amerikanische Administration hat ein sehr anderes Weltbild als wir. Eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf Partnerschaft und gewachsenes Vertrauen. Das können wir nicht ändern. Das müssen wir akzeptieren, und damit können wir umgehen. Aber ich bin überzeugt: Es ist nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass dieses Weltbild das dominierende Paradigma wird. Regellosigkeit darf nicht zum Leitbild für eine Neuordnung der Welt werden.

Wir würden brechen mit der entscheidenden zivilisatorischen Errungenschaft, niedergeschrieben vor 80 Jahren in der Charta der Vereinten Nationen – die nicht möglich gewesen wäre ohne die vehemente Unterstützung der USA. Wenn wir das aufgeben, würden wir nur anderen – wie Russland und China – in die Hände spielen, mehr noch: allen, die schon seit Jahren Recht brechen und Regeln aushöhlen, weil sie genau diese Errungenschaft aus dem Weg räumen wollen. Das ist nicht neu, werden Sie sagen. Richtig. Aber es macht einen Unterschied, wenn die führende Demokratie und Weltmacht sagt: Es geht auch ohne Regeln.

Deswegen ist mein Appell: Bleiben wir bei dem, was uns hilft. Zusammenarbeit hilft uns. Partnerschaften und Bündnisse lohnen sich. Es gibt gemeinsame Interessen, es gibt Regeln und Institutionen, mit denen wir Konflikte lösen können. Das darf nicht nur im Rückblick gelten, sondern das bleibt auch in Zukunft wahr. Diese Wahrheit hat jedes Land, jeder von Ihnen hier im Saal erfahren. Und diese Wahrheit ist jetzt zur Aufgabe geworden: Es wird zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein, die Idee einer internationalen Gemeinschaft zu erhalten. We have to save the very idea of the international community!

Zuletzt möchte ich ein Thema ansprechen, das vom ersten Tage an im Zentrum meiner Präsidentschaft stand: die Zukunft der liberalen Demokratie. Und deshalb lautet mein vierter Punkt: Die Demokratie ist keine Spielwiese für Disruption!

"Disruption" ist ein Begriff, bei dem Tech-Unternehmer und politische Populisten sich derzeit gerne treffen: Werft das Alte auf den Müllhaufen der Geschichte! Ja, dieser Ruf hat viele Märkte und Geschäftsmodelle umgekrempelt und revolutioniert – aber: Die Demokratie ist kein Geschäftsmodell. Sie ist keine Spielwiese für Disruption.

Ich spreche davon mit einiger Dringlichkeit, weil geopolitische Gegner, allen voran Russland, im digitalen Kommunikationsraum schon längst ihren hybriden Krieg gegen liberale Demokratien führen. Weil China digitale Technologie zur autokratischen Machtentfaltung nutzt und ausbaut. Und als wäre das nicht schon besorgniserregend genug, bildet sich in den USA derzeit eine historisch beispiellose Konzentration von technologischer, finanzieller und politischer Macht heraus. Als Demokrat macht es mir größte Sorge, wenn eine kleine unternehmerische Elite die Macht, die Mittel und den Willen hat, einen wesentlichen Teil der Spielregeln liberaler Demokratien neu zu bestimmen. Und erst recht macht mir Sorge, wenn einige aus dieser Elite aus ihrer Verachtung für Institutionen und Normen unserer Demokratie keinen Hehl machen.

Was heute auf dem Spiel steht, ist die Selbstbehauptung unserer Demokratie! Und im globalen Gegenwind, in dem wir stehen, braucht die Selbstbehauptung der Demokratie ein starkes Europa. Dazu gehören massive Investitionen in unsere technologische Leistungsfähigkeit und unsere digitale Unabhängigkeit. Aus Brüssel und Paris kamen dazu in dieser Woche klare Botschaften, die ich voll unterstütze: Wir investieren in Europäische KI. Wir legen zu im digitalen Wettbewerb.

Wir haben die Talente, die Forschung, die Unternehmen, die Ingenieurskunst, den riesigen Markt – das Rennen ist noch nicht entschieden. Ich bin sicher, die Kommissionspräsidentin wird dazu gleich einiges mehr zu sagen haben. Und natürlich verlangen wir Europäer, dass sich Tech-Unternehmen, wie alle andern auch, an europäisches Recht halten – ob sie nun Tiktok, X oder anders heißen. Wir dürfen und werden nicht zulassen, dass Plattformen unsere demokratischen Gesellschaften zerstören oder unseren Kindern schweren Schaden zufügen.

Ein letztes Wort zu Europa. Ich habe viele Stürme in Europa erlebt, und ich habe jedes Mal erfahren: Europa hat ein breites Kreuz. Auf wie vielen Münchener Sicherheitskonferenzen wurde schon der Abstieg Europas beschworen, vermutlich auch von manchen auf dieser. Eingetreten ist er nie. Eine neue Umfrage des European Council on Foreign Relations zeigt erstaunliche Ergebnisse: Die Welt nimmt Europa als "global power" ernst – also tun wir es doch bitte auch selbst! Und verhalten wir uns danach: Machen wir uns nicht kleiner, als wir sind; gehen wir den Weg der Selbststärkung, den wir in diesem rauen geopolitischen Umfeld brauchen! Ich bin sicher: Wir haben das im Kreuz!

Let me try to summarize my core messages as briefly as I can. To our European colleagues: Let’s toughen up! To our American allies: We have different world views – but many good reasons to work together. And to our international guests: The world is changing, but Europe remains Europe. We are open for business. We are open for partnership.

Thank you so much for listening! I wish you all a productive Munich Security Conference.