Verehrte Frau Präsidentin, liebe Maia Sandu, ich erinnere mich sehr gut an Ihren Besuch in Berlin im Mai vergangenen Jahres. Wir haben bitterernste Themen besprochen, zu denen das sommerliche Wetter so gar nicht zu passen schien, als wir ein paar Schritte durch den Garten von Bellevue gingen. Wir sprachen damals über weichenstellende Entscheidungen, die Ihrem Land bevorstanden, und über bedrohliche Signale. Signale, dass unter dem Druck des mächtigen Nachbarn, dem unaufhörlichen Fluss von Desinformation und politischer Einflussnahme von außen, dass unter diesem Druck Ihr Land falsch abbiegen könnte. Natürlich ging es damals um die Präsidentschaftswahl und deren Konsequenzen für die anstehenden Beitrittsverhandlungen zur EU.
Viele in Europa waren sich der Dramatik der Situation und der möglichen Folgen für die Unabhängigkeit und Souveränität dieses kleinen Landes mit seinen sympathischen Menschen nicht bewusst. Ihnen, liebe Maia Sandu, hingegen war die Größe der Herausforderung mit Ihrem mächtigen Gegner sehr bewusst. Aber gestärkt durch viele Auseinandersetzungen in Ihrer ersten Amtszeit und im Vertrauen auf die Unterstützung Ihrer Freunde in Europa und Nordamerika, hatten Sie keine Angst davor. Mit festen Überzeugungen und bewundernswerter innerer Stärke waren Sie vorbereitet, den Feinden der Demokratie und Europas zu trotzen und ein zweites Mal ins Rennen zu gehen – in Verantwortung für eine Zukunft Ihres Landes in Freiheit. Die Menschen in Moldau haben Ihren Mut und Ihre Führungskraft belohnt. Sie haben Sie erneut ins Amt der Präsidentin Ihres Landes gewählt und sich für Europa entschieden. Die Beitrittsverhandlungen wurden inzwischen erfolgreich gestartet. Herzlichen Glückwunsch zu diesem doppelten Erfolg!
Heute werden Ihre Standfestigkeit und Ihr Mut, ja Ihr wirklich herausragender Einsatz für die Demokratie in Moldau mit dem Reinhard-Mohn-Preis gewürdigt. Darüber freue ich mich ganz außerordentlich. Der Preis steht in diesem Jahr unter dem Leitmotiv: Demokratie stärken!
Aber eben nicht nur der Preis: Es könnte auch Ihr persönliches Lebensmotto sein, das Sie – unbeirrt von persönlichen Risiken und politischen Rückschlägen – seit Jahren und Jahrzehnten verfolgen. Ich gratuliere Ihnen von Herzen zu dieser Auszeichnung!
In vier Tagen jährt sich der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Drei Jahre dauert dieser furchtbare Krieg schon. Drei Jahre bringt er Tod, Zerstörung und Leid für die Menschen in der Ukraine. Aber seit Beginn dieses Krieges wächst auch unsere Sorge um Moldau. Ich bin viele Male in Ihrem schönen Land gewesen, liebe Frau Sandu. Und ich habe gesehen, unter welch schwierigen, existenzbedrohenden Bedingungen die Republik Moldau steht und durchhält.
Aber seit Beginn dieses Krieges wissen wir auch: Diejenigen, die diesen Krieg begonnen haben, die ihn mit aller Brutalität gegen die Ukraine führen, meinen am Ende nicht nur die Ukraine und auch nicht nur Moldau. Moskau zielt auf die Staaten des freien Westens, will Demokratie und Freiheit treffen, kämpft am Ende gegen alles, was uns ausmacht. Darauf haben Sie, liebe Maia Sandu, schon hingewiesen, als es viele in Europa noch nicht wahrhaben wollten.
Und auch zu lange haben wir ignoriert, dass die Bedrohung von Demokratie nicht nur von außen, nicht nur von den Feinden des Westens kommt. Dabei haben wir doch beobachten können, dass es eine neue Faszination des Autoritären gibt, die sich in viele Gesellschaften des demokratischen Westens, auch in vielen unserer unmittelbaren Nachbarländern, schon länger eingenistet hat.
Zu lange haben wir uns in Deutschland auf einer Insel gewähnt, auf der wir wegen einer guten Verfassung oder jahrzehntelanger politischer Stabilität vor solchen Anfechtungen gefeit sind. Wir sind es nicht! Auch bei uns spüren wir die Anfechtungen der Demokratie, auch bei uns gibt es ein beunruhigendes Maß an Verachtung demokratischer Institutionen und ihrer Repräsentanten. Auch bei uns stellen wir eine Auszehrung der demokratischen Mitte fest. Mit der Folge, dass die Ränder des politischen Spektrums an Einfluss und Gewicht gewinnen.
Und als wäre das nicht genug, hat uns die Rede des US-Vizepräsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz zweifeln lassen, ob wir in Zukunftsfragen der Demokratie – diesseits und jenseits des Atlantiks – noch vom selben Blatt singen. Ich will jetzt nicht in die Details gehen, aber da wir hier zu Gast bei einem Medienhaus sind, will ich schon sagen, dass es mir große Sorgen macht, wenn sich in der Führungsnation des demokratischen Westens eine bis dahin nie gekannte Ballung von politischer, ökonomischer, digitaler und medialer Macht in wenigen Händen herausbildet. Und es macht mir größte Sorge, wenn diese kleine Elite nicht nur die Spielregeln der liberalen Demokratie für das eigene Land neu definiert, sondern auch noch Kräfte in Deutschland unterstützt, die die Institutionen der Demokratie verachten. Jetzt geht es um die Selbstbehauptung der Demokratie!
Dafür etwas zu tun, dafür zu streiten, ist in unserem Land so leicht. Niemand muss berufliche Nachteile befürchten, niemand muss um sein Leben bangen. Vor dem Hintergrund der hier grassierenden Gleichgültigkeit und Lethargie – so als seien die Segnungen von Freiheit und Demokratie vom Himmel gefallen und auf ewig garantiert – muss es uns nicht nur ein wenig beschämen, wie andere – zuvorderst unsere heutige Preisträgerin Maia Sandu – mit offenem Visier und vollem Risiko um just die Werte kämpfen, die auch unsere Werte sind.
Frau Präsidentin, Sie leben vor, woran wir uns ein Beispiel nehmen sollten. Sie sind zum Vorbild für all jene geworden, die den Autokraten nicht das Feld überlassen wollen. Sie sind der tägliche Beweis für die Sehnsucht nach Demokratie. Sie leben Demokratie. Dafür zollen wir Ihnen nicht nur allerhöchsten Respekt. Dafür danken wir Ihnen!
Die Demokratie zu schützen und zu stärken, das ist die Aufgabe unserer Zeit! International und auch in Deutschland. Dazu gehört auch, die Umbrüche, vor denen auch unsere Gesellschaft steht, so zu gestalten, dass unser Land auch für die kommenden Generationen ein lebenswerter Ort bleibt – wirtschaftlich stark, nachhaltig und demokratisch. Sie, sehr geehrter Herr Professor Otto, Sie haben als Unternehmer und vor allem als Stifter genau diesen Weg beschritten. Denn Sie sehen sich seit vielen Jahrzehnten nicht nur in der Verantwortung für Ihr Unternehmen, sondern auch für die Gesellschaft. Für Ihr vielfältiges Engagement erhalten Sie ebenfalls den Reinhard-Mohn-Preis. Auch Ihnen, lieber Herr Professor Otto, meinen herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung!
Die Bertelsmann Stiftung setzt mit Ihnen beiden als Preisträgern ein wichtiges Zeichen, und dafür danke ich ganz herzlich Ihnen, sehr geehrte Frau Mohn, und Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Ametsreiter! Und ich weiß: Das Engagement der Stiftung für unsere Demokratie und unser Zusammenleben geht weit über diesen Preis hinaus. Ich bin dankbar, liebe Liz Mohn, für die vielfältigen Formen der Zusammenarbeit in den letzten Jahren.
Die Republik Moldau, das sind weniger als drei Millionen Menschen. Wer immer sich dort aufhält, bekommt schnell mit: Die Nachbarschaft Russlands ist keineswegs allein eine geographische Gegebenheit, dokumentiert auf den Landkarten Osteuropas. Es ist auch mehr als die Realität einer gemeinsamen Grenze, schon deshalb, weil der moldauische Landesteil Transnistrien nicht in erster Linie Loyalität zu Chişinău – zur eigenen Hauptstadt Moldaus – verspürt, sondern als in vielfältiger Weise von Russland unterstützte Region ein Einfallstor für den vielfältigen Einfluss Russlands auf das gesamte Staatsgebiet der Republik Moldau ist.
Bei meinem Staatsbesuch in der Republik Moldau im Jahr 2021 habe ich allerdings hautnah erlebt, was die Nachbarschaft Russlands wirklich für die Innenpolitik Moldaus bedeutet. Liebe Maia Sandu, wir hatten die politischen Gespräche mit Regierung und Opposition bereits geführt, hatten uns Beispiele deutscher Investitionen in der moldauischen Wirtschaft angeschaut, sogar beeindruckende unterirdische Weinkeller besichtigt. Wir waren schon in den Abschiedsgesprächen vor unserem Rückflug nach Berlin, als ich persönlich Zeuge russischer Erpressung wurde – vielleicht sogar mit Absicht der Erpresser. Jedenfalls wurden Sie von Ihren Mitarbeitern in einen Nebenraum gerufen. Und dort wurde Ihnen mitgeteilt, dass Russland die Gaslieferungen nach Moldau binnen 24 Stunden einstellen würde, wenn nicht umgehend ein um 25 Prozent höherer Preis akzeptiert würde.
Liebe Gäste, Sie ahnen, der Entscheidungsspielraum für Frau Sandu ist in solchen Fragen ohnehin schmal; damals war er noch enger, weil Energielieferungen ausschließlich aus Russland kamen. Und jeder weiß: Wenn Menschen in kalten Heimen frieren oder nur wenige Stunden am Tag Strom haben, braucht es nicht viel, um Unzufriedenheit zu schüren und in Protesten explodieren zu lassen.
Ich bin Zeuge nur dieses einen Vorfalls geworden. Aber ich ahne, auf wie vielen Feldern moldauischer Politik ähnliche Versuche stattfinden. Solche Herausforderungen reichen schon für jeden politisch Verantwortlichen, der nicht nur selbst überleben will, sondern auch nach einer besseren Zukunft für sein Land sucht. Aber vergessen wir nicht, auch ohne Berücksichtigung von Transnistrien ist Moldau ein multiethnisches Land mit einer Mehrheit von rumänischsprachigen Moldauern und teilweise großen Minderheiten von Rumänen, Ukrainern, Gagausen, Tartaren, Russen, Bulgaren und Roma. Je nach politischer Lage kommt aus einzelnen Landesteilen Druck auf Chişinău, der wiederum von außen instrumentalisiert werden kann.
Moldau ist nicht nur eines der ärmsten Länder Europas, seine wirtschaftliche Entwicklung wird zudem durch teure Energie aus Russland, den Krieg in der ukrainischen Nachbarschaft und innere Konflikte behindert. Hinzu kommt auch noch die Abwanderung von jungen qualifizierten Menschen, von der wir in Deutschland zu einem guten Teil profitiert haben, die aber gleichzeitig Moldaus Zukunftsperspektiven noch schwächt.
Können wir uns in unserem Land, in dem wir uns täglich in Endzeitstimmung versetzen, können wir uns in Deutschland vorstellen, was es heißt, unter den beschriebenen Bedingungen Zuversicht zu behalten und etwas von dieser Zuversicht in die eigene Bevölkerung ausstrahlen zu lassen?
Liebe Maia Sandu, Sie behalten nicht nur Zuversicht! Sie verfolgen – trotz aller Bedrängnis – auch noch unbeirrt Ihre wichtigen Reformprojekte: eine Justizreform, die Bekämpfung von Korruption und Armut, und das mit einem Regierungsapparat, der kleiner ist als das kleinste deutsche Ministerium. Große Hochachtung davor!
Hochachtung auch deshalb, weil Sie wissen, dass Sie Ihrem Land und den Menschen einiges abverlangen. Und weil Sie offen damit umgehen. In Ihrer Antrittsrede zu Beginn Ihrer zweiten Amtszeit sagten Sie: Die Europäische Integration ist unser Weg zu Sicherheit und Wohlstand, aber wir dürfen sie nicht als Business-Class-Ticket ins Paradies verstehen.
Ich glaube, das haben die Menschen in Moldau verstanden – und sie folgen Ihnen gleichwohl. Weil Sie, liebe Maia Sandu, in Ihrem Land erfolgreich vermittelt haben, dass es die von manchen erträumten Selbstheilungskräfte nicht gibt und dass – wie Sie immer wieder warnen – die europäische Integration nicht die wundersame Lösung all der Probleme Moldaus sein wird. Dass auch auf dem richtigen Weg Richtung Europa Mut und Anstrengung Ihrer Landsleute gefordert sein werden.
Was es heißt, sich anzustrengen, das wissen Sie persönlich am besten. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Internationaler Beziehungen an der Universität Chişinău machten Sie 2010 Ihren Master im Fach Öffentliche Verwaltung an der John F. Kennedy School of Government an der Harvard University. Schon ab 2010 arbeiteten Sie als Ökonomin bei der Weltbank in Washington D.C. Und es ist leicht vorstellbar, dass sich Ihr Weg von dort aus zu einer Karriere in den internationalen Organisationen entwickelt hätte. Sicherlich wäre das ein Weg mit anspruchsvollen Aufgaben gewesen, aber ebenso ein leichterer Weg als der, für den Sie sich entschieden haben. Das Land, Ihr Land rief Sie. Und Sie folgten diesem Ruf. Sie verzichteten auf Ruhm, Karriere und Einkommen, weil Ihr Land Sie brauchte!
Ab 2012 ließen Sie sich als Bildungsministerin in die Pflicht nehmen, um das notleidende Bildungssystem Moldaus auf Vorderfrau zu bringen. 2016 gelang es den russlandfreundlichen Kräften noch, Sie von der Macht im Präsidentenamt fernzuhalten, 2019 wurden Sie aber schon gegen deren Willen Ministerpräsidentin. Und 2020 wurden Sie mit großem Vorsprung zur Präsidentin gewählt, ein Erfolg, den Sie bei der Präsidentschaftswahl im November 2024 wiederholen konnten – trotz aller Versuche Moskaus, Sie und mit Ihnen Moldaus europäischen Kurs zu Fall zu bringen.
Moldau ist nicht nur ein kleines Land mit einem großen Herzen, sondern eine Inspiration für andere in unsicheren Zeiten
, haben Sie einmal gesagt. Und beides stellen Sie täglich unter Beweis. Das große Herz zeigen Sie mit Blick auf den Krieg in Ihrem Nachbarland. Sie sehen Not und Leid der Menschen dort. Und das lässt Sie nicht gleichgültig. Moldau gehört zu den ärmsten Ländern in Europa, und trotzdem war die Hilfsbereitschaft der Menschen überwältigend. Kein Land in Europa hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen wie Sie. Wir in Deutschland wissen, was das bedeutet. Auch dafür unseren großen Respekt!
Aber, liebe Maia Sandu, auch den zweiten Teil Ihres Satzes will ich bekräftigen: die Inspiration, die von Moldau ausgeht. Allerdings ist es nicht nur von Ihrem Land. Sie sind es ganz persönlich, von der Inspiration ausgeht! Ihr Lebensweg, Ihre Entscheidung für Ihr Land, Ihre demokratischen Überzeugungen, Ihr Weg nach Europa und auch Ihr nie nachlassender Widerstandsgeist. Den hatten Sie immer, aber seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat der Gegenwind noch einmal heftig zugenommen. Sie halten das nicht nur aus. Sie stemmen sich aktiv dagegen. Sie tun alles, und das mit hohem persönlichen Einsatz, um die Souveränität und Selbstbestimmung Ihres Landes zu bewahren und die Demokratie zu stärken – um sie sturmfest zu machen. Sie kämpfen für den Frieden in Ihrem Land und für den Frieden für Europa.
Liebe Frau Sandu, Sie leben den Menschen in Moldau vor, dass sie sich nicht als Objekte der Weltläufe fühlen müssen, sondern selbstbewusst und selbstständig für ihren Platz kämpfen können. Sie zeigen den Weg auf in die Europäische Union und haben es geschafft, dass der EU-Beitritt als Ziel in die Verfassung aufgenommen wurde. Mir fallen nur wenige Politiker ein, die ihr politisches und persönliches Schicksal so bedingungslos mit der Idee Europas verknüpft haben wie Sie.
Für Ihre Standhaftigkeit, Ihren Mut und Ihre visionäre Kraft möchte ich Ihnen noch einmal aus ganzem Herzen danken! Sie sind ein Beispiel für uns alle, ein Beispiel, das leuchtet und uns Mut macht in einer Zeit, in der wir Ermutigung brauchen. Und ich versichere Ihnen, Deutschland wird weiter auch an der Seite der Republik Moldau bleiben und Ihr Land auf dem Weg in die Europäische Union begleiten.
Ich wünsche Ihrem Land die Stärke und Unabhängigkeit, die es dafür braucht. Ihnen persönlich wünsche ich weiterhin so viel Kraft wie bisher! Noch einmal meinen ganz herzlichen Glückwunsch zum Reinhard-Mohn-Preis 2025!