"Gleichstellung gehört zum Fundament unserer Demokratie"

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 7. März 2025

Zum Internationalen Frauentag hat Bundespräsident Steinmeier die Bedeutung der Gleichstellung von Frauen und Männern für die Demokratie hervorgehoben. "Wenn unsere Demokratie ein Frauenproblem hat, dann hat unser Land ein Demokratieproblem", sagte er bei einer Matinee in Schloss Bellevue.

Herzlich willkommen zum Frauentag im Schloss Bellevue! Es gab, Sie werden es nicht glauben, tatsächlich einmal, über 100 Jahre ist das her, einen "Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation". Für seine Mitglieder wäre unsere heutige Veranstaltung ziemlich sicher ein Graus gewesen. Die Forderung nach Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht waren für diesen Bund der selbsternannten Antifeministen die Blüte des radikalen Demokratismus.

Das mag uns heute befremdlich erscheinen, aber erschrecken Sie nicht, wenn ich sage: In gewisser Weise hatten sie recht damit. Denn was sie erkannt hatten: Gleichberechtigung und Demokratie gehören zusammen – untrennbar. Und darum gehört auch der Frauentag ins Schloss Bellevue! Schön, dass Sie alle da sind!

Der Frauentag ist eine gute Gelegenheit, sich bewusst zu machen: Wo stehen wir in Sachen Gleichberechtigung, was ist gelungen, wo hakt es? Und er ist auch Gelegenheit, danke zu sagen für das, was Sie miteinander und Ihre Vorgängerinnen geschaffen haben. Dieser Dank gilt Ihnen allen – für den großartigen Beitrag, den Sie tagtäglich leisten, im Ehrenamt, im Hauptamt, im Beruf wie in der Familie, in Institutionen wie dem Deutschen Frauenrat, aber natürlich auch vielen anderen. Sie alle erweisen den Frauen, den Männern, unserer Gesellschaft und der Demokratie einen großen Dienst. Und dafür danke ich von ganzem Herzen!

Glücklicherweise hat sich seit der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 ziemlich viel getan. Männer und Frauen sind gleichberechtigt – so steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes, nach heftigen Kämpfen. Und da steht es mittlerweile seit 76 Jahren. Was damals, 1949, von vielen noch als kleine Sensation empfunden worden ist, das sollte nicht nur einfach eine Regelung sein, die den Stand festhält, sondern ein Versprechen für die Zukunft. Und weil sich dieses Versprechen, das hat man im Laufe der Jahrzehnte dann gespürt, nicht von selbst einlöste, wurde dieser Artikel 3 nach der Wiedervereinigung ergänzt und dem Staat ein klarer Handlungsauftrag erteilt: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. In den folgenden Jahrzehnten, in den letzten mehr als dreißig Jahren haben wir in Deutschland über vieles gestritten – über Lohngerechtigkeit, über unbezahlte Sorgearbeit, über Altersarmut bei Frauen, über verpflichtende Quoten in Vorständen und vieles andere mehr. Vieles ist gelungen, vieles ist zu tun. Gleichstellung ist und bleibt ein Handlungsauftrag, ein Arbeitsauftrag.

Das gilt in unserem Land genauso wie weltweit. Dem Global Gender Gap Report von 2024 zufolge bräuchte es sage und schreibe weitere 134 Jahre, bis weltweit Männer und Frauen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen gleiche Chancen hätten. Viel Arbeit also, wenn es nicht ganz so lange dauern soll! Und doch gab es in den letzten Jahrzehnten Fortschritt und auch Grund zu Optimismus. Statt der Frage, ob es Gleichstellung überhaupt braucht, haben sich Politik und Gesellschaft endlich mit der Frage beschäftigt, wie sie gelingt.

Aber ich fürchte, diese Lage ändert sich gerade fundamental. Wir leben in einer neuen Zeit. Global erleben wir, wie populistische Parteien den Eindruck erwecken wollen, Gleichstellung sei so etwas wie eine fixe Idee progressiver Kräfte. Wir erleben große Tech-Unternehmen, die lange stolz auf ihre Modernität waren und nun neuerdings und nur auf das politische Kommando einer neuen Administration hin Diversitätsprogramme einstellen und von einer neuen "maskulinen Energie" in Unternehmen und Gesellschaft geradezu schwärmen. Wir erleben, wie auch bei uns Frauenfeindlichkeit steigt, besonders im Netz. Wie Frauen schlimmste Anfeindungen erfahren, Hass, weil sie Frauen sind. Und wir erleben, wie Frauen leider immer öfter als Konsequenz daraus den Rückzug wählen: Bürgermeisterinnen, die zurücktreten oder nicht wieder antreten zur nächsten Wahl, oder Abgeordnete, die ihr Mandat niederlegen, und leider vieles andere mehr.

Wir gucken uns die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl an, und das passt leider auch ins Bild. Der Frauenanteil ist auf 32,4 Prozent gesunken. Anders gesagt: Die Frauen im Deutschen Bundestag haben keine Sperrminorität mehr! Fast hat man das Gefühl, der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation steht wieder vor der Tür.

Und all das passiert natürlich nicht zufällig gleichzeitig. Das Verächtlichmachen von Demokratie, diese Faszination des Autoritären, der Rollback in Sachen Gleichstellung – hinter all dem steht vor allem der Wunsch nach einfachen Lösungen in einer Welt, die immer komplexer wird. In Krisenzeiten sind Menschen anfällig für schlichte Antworten. Gerade viele Männer, häufig auch junge Männer, suchen jetzt wieder verstärkt Rückhalt in traditionellen Rollenbildern und wählen – öfter als Frauen – auch Parteien, die mit Versprechen aus einer angeblich besseren Vergangenheit locken.

Aber Gleichstellung ist kein Luxusproblem, das uns von der Lösung "echter Probleme" abhält. Das Gegenteil ist richtig: Gleichstellung stärkt unsere Wirtschaft in der Krise, sie stärkt Unternehmen, die Talente brauchen, sie stärkt Beschäftigung und Sozialstaat. Noch wichtiger, und darum geht es: Gleichstellung gehört zum Fundament unserer Demokratie!

Wir wissen heute, dass gemischte Teams nicht nur besser funktionieren, sondern sie kommen eben auch zu besseren Ergebnissen. Das sagen Arbeitsforscher, vor allem aber zeigt mir das meine berufliche Erfahrung in den letzten Jahrzehnten. Es ist eine zentrale Aufgabe für den Staat, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Frauen die gleichen Chancen haben, sich einzubringen und am wirtschaftlichen Wachstum nicht nur mitzuwirken, sondern teilzuhaben.

Dort, wo Frauen und Männer gleichberechtigt sind, sind Gesellschaften freier, erfolgreicher, demokratischer. Und offenbar auch glücklicher: Es ist vermutlich kein Zufall, dass ausgerechnet die Länder, in denen die Gleichstellung am weitesten fortgeschritten und die gesellschaftliche Ungleichheit am geringsten ist – Finnland, Island, Norwegen, Schweden –, dass diese Länder sich Jahr für Jahr die ersten Plätze im World Happiness Report sichern.

Zugespitzt gesagt: Wenn unsere Demokratie ein Frauenproblem hat, dann hat unser Land ein Demokratieproblem! Ich weiß natürlich, Sie alle muss ich davon nicht überzeugen. Sie alle hier werden nicht nachlassen in Ihrem Engagement, jetzt erst recht nicht! Aber ein Dank wäre zu wenig. Mehr noch als Dank verdienen Sie unser aller Unterstützung. Denn Gleichberechtigung gelingt nur, wenn Frauen und Männer, wenn Jung und Alt gemeinsam daran arbeiten. Das ist demokratische Pflicht nicht nur für jede, sondern für jeden! Und ich bin dankbar, dass Sie alle miteinander nicht müde werden, uns immer wieder daran zu erinnern – nicht nur am Frauentag, sondern auch an den anderen 364 Tagen des Jahres.

In diesem Sinne: Schön, dass Sie hier sind! Ich freue mich mit Ihnen auf die Diskussion, die gleich stattfinden wird; ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen, Ihre Hoffnungen und vor allen Dingen Ihre Erwartungen.