Das ist ein schöner Tag heute, ja, ein Feiertag. Zunächst ganz sicher für Sie, meine Damen und Herren, die Sie heute die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, also mit allen Rechten und Pflichten Deutsche werden. Es ist, so denke ich, auch schon deswegen ein Feiertag für Sie, weil heute ein zum Teil langer und nicht immer einfacher Weg an sein Ziel kommt.
Sie haben erreicht, wozu Sie vor längerer Zeit schon aufgebrochen sind und wofür Sie nicht wenige Mühen und Anstrengungen, vor allem oft ein großes Maß an Geduld, aufbringen mussten. Für Sie ist also auf jeden Fall heute ein Grund zu feiern.
Und ich freue mich, dass ich bei dieser Feier dabei sein kann, dass ich selber Ihnen die Urkunde gleich überreichen darf. Als Bundespräsident kann ich das nicht bei allen der tausenden, zehntausenden von Einbürgerungen tun, die wir zum Glück in jedem Jahr in unserem Land vornehmen können. Aber von Zeit zu Zeit nehme ich, wie heute, ganz bewusst daran teil.
Aus verschiedenen Gründen: Einmal möchte ich ganz ausdrücklich als Staatsoberhaupt darauf hinweisen, wie wichtig und wie richtig es ist, dass Menschen, die schon lange in unserem Land leben und hier bleiben möchten, auch Bürgerinnen und Bürger werden. Erst so gehören sie ganz dazu; können wählen und sich wählen lassen; haben Teil am politischen Leben in vollem Umfang; leben Demokratie und können in dieser Demokratie mehr Verantwortung übernehmen.
Und durch meine Teilnahme an dieser Feier möchte ich auch deutlich machen, wie dankbar wir alle in unserem Land sein können, dass es Einbürgerungen gibt, dass Menschen verschiedener Herkünfte sich dazu entschließen, sich voll und ganz zu dieser ihrer neuen Heimat tatsächlich auch zu bekennen. Und wichtig ist mir auch: Ohne diese Einbürgerungen wäre unser Land nicht nur in vieler Hinsicht ärmer, es hätte auch viel weniger Chancen für eine gute Zukunft. Ja, wir brauchen klarere Regeln für Migration nach Europa, aber die ganze Wahrheit ist doch: Deutschland wird auch in Zukunft auf Zuzug und Einwanderung angewiesen sein. Und ich wünsche mir, dass tatsächlich alle, wenn sie Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unseres Landes geworden sind, sich gemeint fühlen, wenn wir sagen: Wir Deutsche
.
Es ist also heute nicht nur ein Feiertag für Sie, die Hauptpersonen dieses Tages, sondern, wie es jede Einbürgerungsfeier sein sollte, ein Feiertag für uns alle, auch für die, die wir schon ein kleines bisschen länger Deutsche sind als die, die heute dazukommen. Mit Ihren so unterschiedlichen Herkünften – aus Eritrea und aus Syrien, den Philippinen, der Ukraine und der Côte d’Ivoire, aus Jordanien und Georgien, den Vereinigten Staaten und dem Irak, aus Portugal, Indien und Marokko; aus vier von fünf Kontinenten: Sie alle sagen heute ein klares und öffentliches, ein entschiedenes und wohlüberlegtes Ja zu Ihrer neuen Heimat Deutschland.
Das tun in unserem Land übrigens immer mehr. Und das möchten auch noch viel mehr tun, wie alle Statistiken zeigen. Zum Teil verdoppeln oder, wie in Köln, verdreifachen sich sogar die Anträge auf Einbürgerung, so dass in der Tat in den vergangenen Jahren manche Städte und Kommunen personell und organisatorisch überfordert waren. Vielerorts – längst nicht überall – gab es und gibt es lange Wartezeiten.
Ich bin mir aber sicher: Die meisten, die dort für Einbürgerungen zuständig sind, arbeiten mit allen Kräften dafür, dass der Grundsatz gilt: Einbürgerungsverfahren werden so sorgfältig wie nötig und so zügig wie möglich durchgeführt.
Ein Feiertag für unser Land ist diese und jede Einbürgerung auch deshalb, weil sie für jeden Neubürger, für jede Neubürgerin bedeutet: Ich bekenne mich zum Grundgesetz, das sich dieses Land gegeben hat. Jede Entscheidung für eine Einbürgerung ist auch ein Bekenntnis zu unserer Verfassung und zu den Werten, auf die sie aufbaut, die sie zum Ausdruck bringt und die sie dauerhaft schützen will.
Sie wissen es: Diese Verfassung hat Konsequenzen gezogen aus schrecklichen Verbrechen. Verbrechen, die in diesem Land geschehen sind und von diesem Land ausgegangen sind, mit Krieg und Diktatur, mit Menschenverachtung, mit Hass und Verachtung gegen andere, ja mit Verfolgung und Ermordung.
Ein Nie wieder!
ist allen entscheidenden Artikeln dieses Grundgesetzes eingeschrieben. Darum zählt die Freiheit der Meinung und der Rede, des Glaubens und der Religion, die Freiheit von Wissenschaft und Kunst zu den unaufgebbaren Werten dieser Verfassung.
Obwohl sich unsere Gegenwart in vielem von der unterscheidet, in der dieses Grundgesetz verfasst wurde, bewährt sich das Grundgesetz gerade heute, gerade unter der veränderten gesellschaftlichen Wirklichkeit, die wir alltäglich erleben.
Sie wissen es, erleben es: Unsere Gesellschaft ist von großer Vielfalt, von Unterschiedlichkeit geprägt. Das liegt nicht nur an den Menschen, die aus aller Welt zu uns gekommen sind, also mit unterschiedlicher kultureller oder religiöser Prägung. Das liegt auch daran, dass in der Welt der Gegenwart immer mehr Menschen die Möglichkeit haben und ergreifen, auf ihre jeweils besondere Art ihr Leben zu gestalten, unterschiedlichen Lebensentwürfen zu folgen und natürlich auch ein Recht dazu haben.
Da ist dann vieles nicht einfach selbstverständlich oder durch Gewohnheit und Tradition einfach vorgegeben. Und deshalb ist Zusammenleben auch nicht spannungsfrei. Es braucht einen dauernden Prozess der Verständigung und dessen Grundlage ist, dass dieser Prozess friedlich und fair verläuft. Und tatsächlich können wir sagen: Die beste und schon seit Jahrzehnten bewährte Grundlage für friedliches Zusammenleben, inmitten von Unterschiedlichkeiten, inmitten von Auseinandersetzungen und Konflikten, ist unser Grundgesetz.
Es lohnt sich also, sich dafür einzusetzen, für die Werte, von denen es geprägt ist, für die Toleranz, die es fordert und gewährt, für die Freiheit, die es sichert.
Mit diesem Einsatz wird man sicher auch am besten der besonderen Verantwortung aus der Geschichte, besonders der Geschichte des Antisemitismus, des Rassenwahns und des Völkermordes gerecht, in der man als Deutsche und Deutscher steht und aus der sich niemand hinausstehlen kann. Wer Deutscher wird, der tritt auch in das historische Erbe unseres Landes ein. Jeder Deutsche muss Auschwitz kennen und muss wissen, was dazu geführt hat, dass Auschwitz möglich werden konnte. Jeder und jede Deutsche muss die Erinnerung daran als bleibende Verpflichtung für uns alle begreifen – und die Verantwortung, die daraus erwächst, annehmen.
Ich weiß, dass gerade viele Menschen, die selbst oder deren Eltern in unser Land gekommen sind, ein Erstarken von Rassismus und von rechtsextremistischen Ansichten und Stimmen fürchten und sich Sorgen über ihre Zukunft in diesem Land machen. Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen und wir müssen Hass und Diskriminierung entschieden entgegentreten, als Staat sowieso, aber auch als Gesellschaft.
Wenn sich aber gerade jetzt viele Menschen einbürgern lassen, dann sehe ich das auch als ein Zeichen dafür, dass sie diesem Land und dieser Gesellschaft vertrauen und hier richtig heimisch werden wollen. Und das ist eine wunderbare Botschaft für mich und für uns alle. Dafür sind wir alle dankbar und darauf können wir alle auch ein wenig stolz sein.
Ich habe gesagt, dass dies heute für uns alle ein Feiertag ist. Ich glaube: In keiner anderen Stadt Deutschlands muss man weniger zum Feiern aufrufen als hier – eben in Köln. Hier wird schnell aus allem ein Anlass zu Spaß an der Freud‘
, wie Sie hier sagen, und also zum Feiern gefunden.
Man muss wohl nicht zuerst Deutscher geworden sein, um Kölner zu werden – eher umgekehrt. Woran liegt das aber, dass man sich hier in Köln so leicht aufgenommen fühlen kann, so schnell das Gefühl bekommt, dazuzugehören, jedenfalls, wenn man sich nicht ganz verkehrt anstellt?
Vielleicht liegt das am entspannten Selbstbewusstsein, dem man hier in Köln begegnet. Keine andere Stadt, jedenfalls in der in Köln bekannten Welt, kennt mehr Lieder, in denen sie sich selbst besingt und feiert. Was wir Nicht-Kölner davon kennen, durch Übertragungen aus dem Karneval etwa, wird nur ein kleiner Prozentsatz sein.
Ich glaube, dass wir hier einem der wesentlichen Geheimnisse von gelingender Integration auf die Spur kommen: Integration gelingt gerade da besonders gut, wo ein gelassenes Selbstbewusstsein, eine entspannte Ahnung von Identität und eigenem Wert lebendig sind. Das kann es natürlich auch anderswo geben, in Berlin und Leipzig, in Hamburg und Rostock, in München – und manche sagen: sogar in Düsseldorf.
Übrigens: Diese uralte deutsche Stadt Köln, eine Gründung der Römer, hat vielleicht wie keine andere Menschen aus der Ferne kommen, manche wieder gehen und viele auch bleiben sehen. Das gilt für das ganze Rheinland, über das der niederrheinische Dichter Hanns Dieter Hüsch einmal geschrieben und sich dabei selbst, sehr kurz und knapp, in diese jahrhundertelange Geschichte eingereiht hat:
Die Römer waren hier / Die Burgunder waren hier / Die Oranier waren hier / Die Spanier waren hier / Die Schweden waren hier / Die Lothringer waren hier / Die Österreicher waren hier / Die Franzosen waren hier / Die Preußen waren hier / Und ich war hier
Liebe Neubürgerinnen und -bürger, ich wünsche Ihnen diese Freude, dieses Selbstbewusstsein, diese Selbstverständlichkeit, mit der Sie jetzt und demnächst sagen: Und ich bin hier!