"Sie stärken das Vertrauen in die Wissenschaft – und leisten damit einen wichtigen Beitrag für unsere Demokratie"

Schwerpunktthema: Rede

München, , 5. Mai 2025

Zum 100. Jubiläum hat Bundespräsident Steinmeier das Deutsche Museum in München als Vorbild für die zeitgemäße Vermittlung von Naturwissenschaften und Technik gewürdigt.



Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache beim Festakt 100 Jahre Deutsches Museum München

Als ich vor acht Jahren, damals als frisch gewählter Bundespräsident, meinen Antrittsbesuch in Bayern gemacht habe – das Wetter war genauso schlecht wie heute, erinnere ich mich –, da war ich auch das letzte Mal hier im Deutschen Museum. Damals hatten Sanierung und Modernisierung gerade erst begonnen. Seitdem hat sich eine Menge getan, und auch wenn noch nicht alles fertig ist: Ich finde es wirklich toll, wie dieses historische Haus zu seinem hundertsten Jubiläum in frischem Glanz erstrahlt!

Ganz grundlegend erneuerte Ausstellungen führen uns den naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritt bis in die jüngste Gegenwart vor Augen. Sie machen uns aber auch bewusst, welche ungeheuren Möglichkeiten wir heute haben, um für uns und die nachfolgenden Generationen eine gute, eine lebenswerte Zukunft zu schaffen. Mit anderen Worten: Mitten in einer Zeit voller Zweifel und voller Skepsis vermittelt das Deutsche Museum begründete Zuversicht – und diese Zuversicht braucht dieses Land mehr denn je.

Auch deshalb freue ich mich, heute zum Auftakt Ihrer großen Festwoche bei Ihnen zu sein – hier im Museumsgebäude auf der ehemaligen Kohleninsel in der Isar, das vor hundert Jahren eröffnet wurde. Ich danke allen, die in den vergangenen Jahren mitgeholfen haben, dieses großartige Haus im Fluss neu zu erfinden, um das Erbe Oskar von Millers zu bewahren. Ihnen allen meinen herzlichen Dank, und vor allen Dingen: herzlichen Glückwunsch zum Hundertsten!

Am 5. Mai 1925, heute vor genau einem Jahrhundert, standen hier in München Zehntausende Menschen an den geschmückten Straßen und bestaunten den Festzug, der vom Alten Nationalmuseum durch die Innenstadt bis auf die Museumsinsel rollte. Pferde und Dampfautos zogen kunstvoll gestaltete Motivwagen, die technische Disziplinen wie Luftfahrt, Maschinenbau oder Elektrotechnik darstellten und von bunt kostümierten Komparsen begleitet wurden.

Der Umzug läutete damals die Feiern zur Eröffnung des neuen Museumsgebäudes ein, die sich über drei Tage erstrecken sollten und am Abend des 7. Mai in einem großen Festakt gipfelten. Führende Politiker der Weimarer Republik versammelten sich hier in diesem Haus, darunter Reichskanzler Hans Luther und Außenminister Gustav Stresemann; Reichspräsident Ebert war kurz zuvor verstorben und wurde durch Walter Simons vertreten. Auch viele berühmte Industrielle, Ingenieure, Wissenschaftler und Kulturschaffende waren unter den Gästen, von Carl von Linde und Wilhelm Ostwald bis Gerhart Hauptmann und Richard Strauss.

Die Eröffnung des Deutschen Museums im Jahr 1925 stand für eine Aufbruchsstimmung in der krisengeschüttelten Weimarer Republik. Nach Krieg, Inflation und politischen Unruhen keimte nun Hoffnung auf, dass die Demokratie sich festigen würde, dass Deutschland wieder Aufnahme findet in die Gemeinschaft der Völker – Hoffnung, dass die junge Republik sich dank neuer Entdeckungen und Erfindungen auf den Weg in eine bessere Zukunft machen kann. Nicht mit Macht und Militär, sondern mit der Kraft des Geistes wollte die junge Demokratie internationales Ansehen für Deutschland zurückgewinnen – es ist kein Zufall, dass 1925 auch die Studienstiftung des deutschen Volkes und auch der DAAD gegründet wurden.

Und zum ersten Mal in der deutschen Geschichte konnten nun die Bürgerinnen und Bürger selbst darüber entscheiden, wie sie neue Technologien gesellschaftlich nutzen wollten. Naturwissenschaftlich-technische Bildung, die möglichst viele in die Lage versetzte, informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, wurde in der Demokratie zu einer Aufgabe von größter Bedeutung.

Das Deutsche Museum setzte damals Maßstäbe für eine solche Bildung. Oskar von Miller hatte sein Haus von Anfang an als "Volksbildungsstätte" entworfen, als einen Lern- und Forschungsort für alle. Und er ging neue Wege, um verschiedene Berufs- und Altersgruppen anzusprechen, um Besucherinnen und Besucher mit einzubeziehen, Zusammenhänge anschaulich und begreifbar zu machen. In der eigenen Werkstatt gefertigte Dioramen und Modelle; Knopfdruckexperimente und Führungen von Experten; ein begehbares Bergwerk und zwei Planetarien; nicht zuletzt eine Fachbibliothek und ein Archiv – all das machte sein Museum weltweit zu einem Vorbild.

In der Weimarer Republik wurde das Deutsche Museum so zu einem Symbol für Fortschritt in Freiheit und Demokratie. Aber wir wissen auch: Nach ihrer Machtübernahme und dem Rücktritt Oskar von Millers vereinnahmten die Nationalsozialisten dieses Haus für nationalistischen Größenwahn und menschenfeindlichen Hass. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, auch Mitglieder des Museums wurden entlassen, weil sie Jüdinnen und Juden waren oder dem Regime als "politisch unzuverlässig" galten. Ich will heute nur an Arthur Schönberg erinnern, den engsten Mitarbeiter Oskar von Millers, der das Deutsche Museum maßgeblich mit geprägt hat, bevor er von den Nazis verfolgt, verschleppt und ermordet wurde. Auch ihm gilt heute unser Respekt und unser Dank!

Der Glaube an einen ungebrochenen Fortschritt durch Technik ist in den vergangenen hundert Jahren auch auf die Probe gestellt und zuweilen auch enttäuscht worden – durch den militärischen Missbrauch von Technologien, durch Unfälle und Katastrophen, durch Raubbau an der Natur, nicht zuletzt durch das wachsende Bewusstsein, dass die fortgesetzte Nutzung fossiler Energieträger unsere natürlichen Lebensgrundlagen angreift.

Aber kritisches Bewusstsein darf nicht in Technikangst umschlagen, die uns die Sicht auf die Möglichkeiten versperrt, die uns neue Technologien heute immer wieder bieten. Ich bin überzeugt: Wenn wir technologische Innovationen in unserer Demokratie verantwortungsvoll fördern und nutzen, dann haben wir die besten Chancen, Klimaschutz, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Und dann können wir in unserem Land auch einen wichtigen Beitrag leisten, um Menschen in den ärmeren Ländern des Südens, aber auch zukünftigen Generationen in unserem Land ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Wohlstand zu ermöglichen.

Damit das gelingt, brauchen wir in unserer Gesellschaft eine aufgeklärte Offenheit für Naturwissenschaften und Technik jenseits von blinder Fortschrittseuphorie, aber auch jenseits von lähmender Zukunftsangst. Und das heißt nicht zuletzt: Wir brauchen mehr naturwissenschaftlich-technische Bildung. Wir brauchen mehr Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Und wir brauchen eine breite öffentliche Debatte darüber, wie wir die Chancen von neuen Technologien nutzen und ihre Risiken einhegen wollen – ob es um die Energie- oder die Mobilitätswende geht, um Biowissenschaften oder Medizintechnik, um Raumfahrt- oder Militärtechnik, um Künstliche Intelligenz oder die digitalen Plattformen.

Das Deutsche Museum geht hier mit gutem Beispiel voran, heute wie vor hundert Jahren. Es ist ein Vorbild für die zeitgemäße Vermittlung von Naturwissenschaften und Technik, eine lebendige Bildungs- und Forschungsstätte für alle Generationen. Und es ist ein wichtiges Forum, das gesellschaftliche und politische Debatten anstößt.

Deshalb habe ich heute eigentlich nur eine einzige Bitte mitgebracht: Lassen Sie nicht nach, bleiben Sie im Fluss und bleiben Sie im Forschen! Zeichnen Sie auch in Zukunft ein realistisches Bild von Chancen und Risiken neuer Technologien, und bilden Sie auch wissenschaftliche Kontroversen darüber ab, wie wir das Überleben der Menschheit auf unserem Planeten sichern!

Aber machen Sie vor allem Lust auf Zukunft! Eine Zukunft, die wir ohne technischen Fortschritt nicht erreichen! Mit Ihrer Bildungs- und Forschungsarbeit fördern Sie die Akzeptanz von neuen Technologien; Sie stärken das Vertrauen in die Wissenschaft – und Sie leisten mit alledem einen wichtigen Beitrag für unsere Demokratie.

Besonders dankbar bin ich Ihnen dafür, dass Sie viele junge Menschen für naturwissenschaftlich-technische Berufe begeistern. Wenn ich die Preisträgerinnen und Preisträger des Deutschen Zukunftspreises – deren Ideen und Innovationen Sie dankenswerterweise seit vielen Jahren hier im Deutschen Museum ausstellen – wenn ich die frage, woher sie ihre Leidenschaft für Forschung und Technik haben, dann erzählt mir doch der eine oder andere von demselben Schlüsselerlebnis: dass sie als Kinder mit ihren Eltern hier im Museum waren und dieser frühe Besuch sie fürs Leben geprägt hat. Wenn das nichts ist!

Es sind nämlich genau diese zündenden Momente, die Ihr Museum für unser Land so wertvoll machen. Denn wir brauchen mehr junge Menschen, die sich dafür entscheiden, Naturwissenschaftlerinnen, Ingenieure oder Handwerkerinnen zu werden. Frauen und Männer, die neu denken, neu handeln und aus Ideen Erfolge machen – Erfolge für sich persönlich, aber auch Erfolg für eine Volkswirtschaft, die auf Innovationen dringend weiter angewiesen sein wird. Das geht unter heutigen Bedingungen nicht mehr ohne intensiven internationalen Austausch. Deshalb besorgen uns die Nachrichten von vielen amerikanischen Universitäten – Columbia, Harvard, Yale –, wo von einschneidenden politischen Restriktionen gegenüber der Wissenschaft berichtet wird. Das darf nicht sein; das wird auch der Schaden der Amerikaner sein, es ist der Schaden jedenfalls schon jetzt für die internationale Wissenschaft.

Wir brauchen mehr Menschen weltweit, die die Freiheit von Forschung und Lehre schützen; mehr – und nicht nur junge – Menschen, die sich über Naturwissenschaften und Technik informieren, die unsere Zukunft vor allen Dingen verantwortungsvoll mitgestalten wollen. Und verantwortungsvoll heißt auch: unter Wahrung von Freiheit und Demokratie. Das ist der Auftrag, den unser Grundgesetz formuliert und den wir an kommende Generationen weitergeben müssen. Deshalb werde ich gleich ein Exemplar unserer Verfassung in Ihre Zeitkapsel legen – in der Hoffnung, dass es in Zukunft wiedererkannt wird und nicht neu entdeckt werden muss!

Lieber Professor Heckl, es ist ganz besonders auch Ihrem Engagement zu verdanken, dass das Deutsche Museum heute so etwas wie ein Kraftwerk der Wissenschaftskommunikation ist. Mit einem Generaldirektor und Impresario, der seinesgleichen sucht. Der die Gabe hat, dafür zu sorgen, dass über dieses Museum und seine Ausstellungen gesprochen wird. Der in seiner Person die Kreativität und den Innovationsgeist verkörpert, für den das Museum als Ganzes steht. Für Ihren unermüdlichen Einsatz für die naturwissenschaftlich-technische Bildung habe ich Sie im vergangenen Jahr würdigen dürfen und Sie im Schloss Bellevue mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – und ich finde, Sie verdienen auch hier, in diesem Haus, jetzt und noch einmal großen Applaus!

Mein Dank gilt auch den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Deutsche Museum Tag für Tag zum Leben erwecken, ob vor oder hinter den Kulissen, ob im Hauptberuf oder im Ehrenamt. Und ich danke den vielen Mitgliedern, Freunden und Förderern, die dieses Haus auf ganz vielfältige Weise unterstützen und es zu dem gemacht haben, was es heute ist: ein Haus für Zukunft, ein Haus für Zuversicht.

Ihnen allen meinen herzlichen Dank – und dem Deutschen Museum zum hundertsten Geburtstag alles Gute!