"Wir alle sind Kinder des 8. Mai"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 8. Mai 2025

Zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges hat Bundespräsident Steinmeier bei einer Gedenkstunde im Bundestag dazu aufgerufen, das Erinnern nicht zur Routine werden zu lassen.

Du weißt, wir haben immer damit gerechnet. (…) Aber es ist doch schwer zu ertragen, wenn auf einmal die Niederlage da ist.

Die Niederlage ist schwer zu ertragen, das schrieb Helga Felmy, Jahrgang 1911, am 8. Mai 1945 an ihren Mann, einen Pfarrer, der in Kriegsgefangenschaft war. Der Brief gehört zu den Dokumenten, die Walter Kempowski über die seelische Verfasstheit der Deutschen in der Stunde null gesammelt hat.

Deutschland lag in Schutt und Asche am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation. Städte, in eine endlose Trümmerlandschaft verwandelt, statt Häusern nur noch Schuttberge und Gerippe aus Mauerresten. Einzelne durch Willkür des Zufalls noch stehende Gebäude, inmitten der Verheerung aufragende Mahnmale. Von der Wehrmacht gesprengte Brücken als Fanal eines bis in den eigenen Untergang fanatisch geführten Krieges. Ganze Regionen verwüstet. Berlin hat aufgehört zu existieren, berichtete der BBC-Reporter Thomas Cadett nach Hause.

Wir alle haben unzählige Bilder dieses Tages gesehen. Die von alliierten Streitkräften entwaffneten deutschen Soldaten, hockend, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Gesichter jetzt ängstlich, stumpf, ratlos. Überlebende, die wie Untote durch die Ruinen der zerbombten Städte wankten. Die Leichen derer, für die die Befreiung nur um Tage zu spät kam. Bilder von zerschossenen Leiterwagen der deutschen Flüchtlingstrecks aus dem Osten, ringsum verstreut die Kleidung und das, was einmal zu einem Zuhause gehörte.

Der Zweite Weltkrieg war nichts als ein endloses Grauen: Erniedrigung, Verfolgung, Folter, Mord, Völkermord. Am Ende waren mehr als 60 Millionen Menschen in Europa tot, sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet, Millionen obdach- und heimatlos, verwaist, gebrochen, verwundet, hungernd.

Und doch, auch das gab es: Hoffnung und Dankbarkeit. In uns ist immer wieder ein großes Erleichterungs- und Dankgefühl (…), dies Ungeheure, all diese (…) Gefahr nun wirklich überlebt zu haben, das schrieb Victor Klemperer, noch beinahe ungläubig, in den letzten Kriegstagen. Der große Gelehrte, gedemütigt, entrechtet, verfolgt, konnte endlich hoffen, seiner Vernichtung entkommen zu sein.

Es waren Deutsche, die diesen verbrecherischen Krieg entfesselt und ganz Europa in den Abgrund gerissen haben. Es waren Deutsche, die das Menschheitsverbrechen der Shoah begangen haben. Und es waren Deutsche, die nicht willens und nicht fähig waren, selber das Joch des NS-Regimes abzuwerfen.

Daran erinnern wir, wir Deutsche, heute, 80 Jahre später. Wir wissen: Dieser Tag hat unser Land zutiefst geprägt. Wir alle sind Kinder des 8. Mai!

Am 8. Mai 1945 wurden wir befreit. Auch heute, 80 Jahre später, gilt unser tiefer Dank den alliierten Soldaten und den europäischen Widerstandsbewegungen, die das NS-Regime unter Aufbietung aller Kräfte und mit vielen Opfern bezwungen haben. Das vergessen wir nicht! Unser Dank gilt Amerikanern, Briten, Franzosen und all denen, die mit ihnen den Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror führten.

Aber wir wissen auch, welchen Beitrag die Rote Armee dabei geleistet hat, Russen, Ukrainer, Weißrussen und alle, die in ihr gekämpft haben. Mindestens 13 Millionen dieser Soldaten und noch einmal ebenso viele Zivilisten verloren ihr Leben. Die Rote Armee hat Auschwitz befreit.

All das vergessen wir nicht. Aber gerade deshalb treten wir den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen. Auch wenn das morgen bei den Siegesfeiern in Moskau wieder behauptet werden sollte: Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus. Putins Angriffskrieg, sein Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land, hat nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg. Am Ende ist diese Geschichtslüge nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen!

Auch und gerade am 8. Mai gilt: Wir unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf um ihre Freiheit, ihre Demokratie, ihre Souveränität. Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, die Lehren des 8. Mai zu verraten!

Zutiefst dankbar sind wir heute, 80 Jahre später, auch für die Versöhnung, für das Vertrauen, das uns so viele Länder nach dem Krieg entgegengebracht haben. Für die Aussöhnung mit unseren Nachbarn Polen und Frankreich. Für das Wunder der Versöhnung, das jüdische Gemeinschaften auf der ganzen Welt und der Staat Israel uns geschenkt haben. Wir Deutsche können für dieses Geschenk der Versöhnung nicht dankbar genug sein!

Aber Dankbarkeit allein reicht nicht aus! Niemals kann und niemals darf es uns gleichgültig lassen, wenn sich ausgerechnet in unserem Land Antisemitismus wieder zeigt. Es ist geschichtsvergessen, es ist unerträglich, wenn sich Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher fühlen in unserem Land. Unerträglich nicht nur für Jüdinnen und Juden. Nein, unerträglich für unsere Demokratie. Für Antisemitismus darf es in unserer Gesellschaft keinen Raum geben. Das zu gewährleisten, ist unsere gemeinsame Pflicht!

1945 kam die Befreiung von außen. Sie musste von außen kommen. Die meisten Deutschen hielten dem Regime bis zum letzten Tag die Treue. Und längst nicht alle Deutschen empfanden damals Dankbarkeit für die Befreiung, sie sahen sich nicht einmal als Befreite.

Am 8. Mai 1945 begann für unser Land ein langer Weg hin zu Freiheit und Demokratie. Die Westalliierten eröffneten ihn für die Menschen in der damaligen Bundesrepublik. Im Osten Deutschlands blieb den Menschen die Freiheit weiter vorenthalten. Die Sowjetunion bereitete den Weg für die Einparteienherrschaft der SED und eine neue Diktatur.

Aber wir Deutsche mussten uns erst auch innerlich befreien, in einem langwierigen, schmerzhaften Prozess. Eine Aufarbeitung, die Verletzungen hinterließ – auch zwischen den Generationen. Zur Wahrheit gehört, dass in der ehemaligen DDR zwar Antifaschismus Staatsdoktrin war, aber eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte lange nicht stattfand. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die junge Bundesrepublik zunächst fast jede Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, vor allem die Bestrafung der Täter lange verweigerte; stattdessen kamen viele in neue Ämter, die treue Diener des NS-Regimes gewesen waren.

In Ost wie West sollte es Jahre, sogar Jahrzehnte dauern, bis wir Deutsche uns umfassend den quälenden Fragen von Schuld und Verantwortung gestellt haben, bis in den Familien darüber gesprochen wurde, was gewesen war, wer von den Verbrechen gewusst und doch weggesehen hatte, wer sich schuldig gemacht und doch geschwiegen hatte.

Der Satz von Richard von Weizsäcker Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung in seiner historischen Rede am 8. Mai 1985, dieser Satz war auch 40 Jahre nach Kriegsende noch nicht unumstritten. Und doch markierte er eine Zäsur im Umgang mit unserer Vergangenheit.

Bundespräsident von Weizsäcker sprach für die Bundesrepublik, aber seine Worte fanden auch in der damaligen DDR Widerhall.

Und heute, noch einmal 40 Jahre später? Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden. Und doch begehen wir diesen 8. Mai heute nicht in ruhiger Selbstgewissheit. Denn wir spüren: Freiheit ist nicht das große Finale der Geschichte. Freiheit ist nicht für alle Zeit garantiert.

Heute müssen wir deshalb nicht mehr fragen: Hat der 8. Mai uns befreit? Die Antwort ist gegeben, und sie bleibt gültig. Aber wir müssen fragen: Wie können wir frei bleiben?

80 Jahre nach Kriegsende ist das lange 20. Jahrhundert endgültig zu einem Ende gekommen, schreibt Ivan Krastev. Die Lehren aus zwei Diktaturen und zwei Weltkriegen verblassen. Die Befreier von Auschwitz sind zu neuen Aggressoren geworden. Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat Putin unsere europäische Sicherheitsordnung in Trümmer gelegt – von der wir doch gehofft hatten, sie sei als Lehre aus den Schrecken des Krieges ein für alle Mal gelernt.

Die Staatengemeinschaft hatte Konsequenzen gezogen aus Vernichtungskrieg und Völkermord, hatte Regeln eingeführt, um Nationalismen einzuhegen, Zusammenarbeit zu fördern, und hatte eine internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts geschaffen. All das war nie perfekt, nie unumstritten, aber dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten, die diese Ordnung so maßgeblich mit geschaffen und geprägt haben, von ihr abwenden, das ist eine Erschütterung neuen Ausmaßes.

Und deshalb spreche ich von einem doppelten Epochenbruch – der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas –, das ist es, was das Ende dieses langen 20. Jahrhunderts markiert.

Die Faszination des Autoritären und die populistischen Verlockungen gewinnen leider auch bei uns in Europa wieder Raum, und Zweifel an der Demokratie werden laut. Wir sehen mit Schrecken, dass selbst die älteste Demokratie der Welt gefährdet sein kann, wenn die Justiz missachtet, die Gewaltenteilung ausgehebelt, die Freiheit der Wissenschaft angegriffen wird. Wir schauen auf unser Land, in dem extremistische Kräfte erstarken. Sie verhöhnen die Institutionen der Demokratie und diejenigen, die sie repräsentieren. Sie vergiften unsere Debatten. Sie spielen mit den Sorgen der Menschen. Sie betreiben das Geschäft mit der Angst. Sie hetzen Menschen gegeneinander auf. Sie erwecken alte böse Geister zu neuem Leben.

Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen. Das erwarte ich von allen Demokratinnen und Demokraten in diesem Land.

Wie können wir frei bleiben, wie bewahren und schützen wir unsere Demokratie? Mitten in dem Epochenbruch kann es für uns keine Routine im Erinnern geben. Und ich bin sicher: Der 8. Mai hat uns noch viel zu sagen.

Tatsächlich wundere ich mich manchmal über die Hartnäckigkeit, mit der manche, leider auch in diesem Hause, einen sogenannten Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung fordern. Ich wundere mich, wenn einige Erinnerung als "Schuldkult“ diskreditieren. Was soll das eigentlich bedeuten? Dass wir vergessen, was wir wissen?

Was hätten wir damit zu gewinnen? Wollen wir wirklich den Überlebenden des Holocaust, die heute in tiefer Sorge sind, unsere Solidarität verweigern? Wollen wir ein Land sein, das sich nur an vermeintlich glorreiche Zeiten erinnert und die Abgründe seiner Geschichte verharmlost oder leugnet? Wollen wir eine Demokratie sein, die vergisst, wo sie herkommt und was den Kern ihrer Identität ausmacht?

Und wollen wir umgekehrt wirklich auf die Erfahrung verzichten, dass fanatischer Nationalismus überwunden werden kann. Wollen wir auf die Erfahrung verzichten, dass auf Krieg Frieden folgen kann? Dass Frieden und Demokratie auch Wohlstand bringen? Dass die Aufarbeitung unserer Geschichte uns Anerkennung und Respekt in der ganzen Welt eingebracht hat?

Ginge es uns wirklich besser, wenn wir all diese Erfahrungen vergessen würden und die Erinnerung einfach entsorgen wie ein altes Kleidungsstück?

Wir haben doch in den letzten 80 Jahren immer wieder erfahren dürfen, was für eine Kraft die gemeinsame Erinnerung in sich trägt. Die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, Leid, Zerstörung, Verfolgung, Terror, Tod, Flucht, sie haben sich trotz des wachsenden zeitlichen Abstands tief ins kollektive Gedächtnis der Europäer eingegraben. Das Erlebte wird weitergetragen von Generation zu Generation, in Familien in Frankreich, in Großbritannien, in Belgien, Italien, in den Ländern Osteuropas. Babyn Jar, Oradour-sur-Glane, Korjukiwka, Marzabotto: Ich selbst erlebe das immer wieder bei Gedenkfeiern, wenn mir Überlebende und Angehörige von NS-Opfern von ihrem Schmerz erzählen und mir trotzdem die Hand zur Versöhnung reichen. Mich hat es tief berührt, als mich in Warschau beim Gedenken an den Aufstand dort vor 80 Jahren eine Überlebende bei der Hand genommen und mir gesagt hat: Polen und Deutschland sind heute Freunde. Nie hätte ich mir das vorstellen können. Ich will sagen: Es ist so unendlich viel, was wir mit Versöhnung erreichen können und was wir erreicht haben. Meine Bitte ist: Lassen Sie uns weiter dafür arbeiten!

Gerade weil wir uns erinnert haben, ist nach 1945 aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges ein neues, geeintes Europa erwachsen, ein Europa, das Lehren aus der Katastrophe gezogen hat: friedliches Miteinander statt feindliches Gegeneinander, Zusammenarbeit statt Regellosigkeit, die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte, all das hat uns Jahrzehnte von Frieden, Freiheit und Wohlstand beschert.

Meine feste Überzeugung ist: Wer sich der Vergangenheit stellt, der verzichtet nicht auf Zukunft. Unsere Geschichte ist kein Gefängnis, in das wir eingesperrt sind. Sie ist kein Ballast, auch nicht für uns Nachgeborene.

Sie ist im Gegenteil, mit all ihren Höhen und Tiefen, ein riesiger, ein kostbarer Erfahrungsschatz! Sie ist der Schlüssel, für uns, unsere Kinder, unsere Enkel, um die Krisen der Gegenwart und auch der Zukunft zu meistern. Und deshalb ist es so wichtig, gerade heute, die Erfahrung von Diktatur und Krieg, aber genauso die von Wiederaufbau und Versöhnung weiterzugeben von Generation zu Generation. Warum sollten wir erst neu schmerzlich erfahren oder erlernen müssen, was wir in unserer deutschen Geschichte doch schon einmal so bitter haben erfahren und erlernen müssen?

Ich bin überzeugt, heute mehr denn je: Wir haben so vieles gelernt aus unserer Geschichte, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Geben wir nicht leichtfertig preis, was uns stark gemacht hat! Flüchten wir nicht aus unserer Geschichte. Werfen wir ihre Lehren gerade dann nicht über Bord, wenn sie uns etwas abverlangen. Das wäre feige und falsch zugleich!

Einen Schritt weitergehend, frage ich: Sind wir nicht mit unserer Geschichte, mit unseren Erfahrungen eigentlich besonders gut gerüstet für die Anfechtungen dieser Zeit?

Für uns kann es kein schlafwandlerisches Wanken geben. Wir wissen, wohin Abschottung führt, wohin aggressiver Nationalismus, die Verachtung von demokratischen Institutionen führt. So haben wir in Deutschland schon einmal die Demokratie verloren. Deshalb: Vertrauen wir auf unsere Erfahrung! Stehen wir ein für unsere Werte. Erstarren wir jetzt nicht in Ängstlichkeit! Beweisen wir Selbstbehauptung!

Wenn andere in Nationalismus verfallen und brachial ihre Interessen durchsetzen wollen, dann suchen wir umso mehr gemeinsam mit Partnern nach Lösungen – weil es richtig ist. Wenn andere die Vereinten Nationen in Frage stellen und das Völkerrecht gleich mit, halten wir daran fest – weil es richtig ist.

Wo der Zeitgeist von Disruption schwärmt, erkennen wir doch, dass dahinter oft genug nur der Unwille steckt, den Weg und das Ziel von Veränderungen zu beschreiben. Aber Regellosigkeit ist bei Weitem nicht für alle eine Verheißung. Das gilt erst recht international für das Verhältnis von Staaten untereinander. Denn eine Zukunft in der nicht mehr die "Stärke des Rechts“ gilt, sondern das "Recht des Stärkeren“ in seiner ganzen Rohheit zurückkehrt, das kann und das darf nicht unser Weg sein.

Wenn andere Demokratie, Freiheit, Recht einschränken, verteidigen wir sie erst recht. Wenn auch in unserem Land die Zweifel daran größer werden, zeigen wir, dass jede und jeder Einzelne in einer Demokratie ein besseres und freieres Leben leben kann als in jeder autoritären Ordnung. Überzeugen wir möglichst viele von denen, die daran zweifeln! Gewinnen wir sie zurück für unsere Demokratie! Demokratie ist nie fertig! Sie ist anstrengend! Sie verlangt Engagement. Aber: Eine bessere Ordnung gibt es nicht!

Und wenn neue Kriege uns heute Sorgen machen, dann verlieren wir – gerade wir! – nicht den Frieden aus dem Blick. Wir wissen, wohin Krieg führt. Wir fürchten ihn zu Recht. Deshalb bleibt unsere Perspektive der Frieden. Aber Frieden herrscht nicht schon dann, wenn wir uns zurückhalten, wenn wir auf die Stärkung der eigenen Verteidigung verzichten. Denn wir sind mit einer harten Realität konfrontiert: Wir müssen alles tun, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, um Putins Landnahme aufzuhalten. Wir müssen zeigen: Demokratien sind keine wehrlosen Opfer.

Wir müssen militärisch stärker werden, aber nicht um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern. Nicht um Diplomatie zu ersetzen, sondern um sie glaubhaft zu machen – mit einer aktiven Außenpolitik, die Diplomatie nicht denen überlässt, die nur eigennützige Machtinteressen verfolgen. Wo immer wir von Nutzen sein können, da sollten wir uns engagieren. Deutschland wird gebraucht, um um Frieden zu ringen, wo er verloren gegangen ist. Auch das ist der Auftrag des 8. Mai.

Heute, an diesem 8. Mai, sind wir ein anderes Land als vor 80 und auch vor 40 Jahren. Ein Land, das das große Glück der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung erleben durfte, ein vielfältiges, offenes Land. Unsere Geschichte liefert uns nicht nur die Blaupause für Katastrophen, die es zu verhindern gilt. Sie erzählt uns vom Wunder der Versöhnung zwischen Deutschland und Israel und davon, dass jüdisches Leben wieder Teil unseres Landes werden konnte. Sie erzählt uns, wie die Menschen in Osteuropa und der DDR 1989 die Teilung Europas überwunden und die Freiheit errungen haben. Sie erzählt uns die unglaubliche Erfolgsgeschichte eines Landes, das nach dem totalen Zusammenbruch – auch dem moralischen – zu Freiheit, wirtschaftlicher Stärke und Wohlstand gekommen ist, sich international Respekt und sogar Sympathie erarbeitet hat. Wer hätte all das am 8. Mai 1945 für möglich gehalten!

Wir dürfen diesem Land vertrauen. Wir dürfen Vertrauen haben in uns selbst.

Wir alle sind Kinder des 8. Mai, ein Satz von Jürgen Habermas, ein Satz, der Hoffnung gibt. Hoffnungstrotz! Hoffnung trotz allem! Von außen kann uns heute niemand die Freiheit schenken. Wir müssen selbst für sie einstehen. Wir wissen, was zu tun ist. Und wir wissen um die Möglichkeit, dass immer wieder etwas Neues beginnt.

Ja, wir sind alle Kinder des 8. Mai. Schützen wir unsere Freiheit! Schützen wir unsere Demokratie!