Eine Kirche, in der es mitunter Sitzkissen und Liegestühle gibt, in der Menschen auf einem riesigen runden Teppich gemeinsam meditieren – das ist selbst in unserer vielfältigen Kirchenlandschaft außergewöhnlich. Ich freue mich, hier in der Genezarethkirche, an diesem besonderen Ort der Begegnung, mit Ihnen Ihr Jubiläum zu feiern! Denn, ja, um Begegnung geht es. 50 Jahre Interkulturelle Woche – dazu gratuliere ich herzlich!
Zuallererst will ich Ihnen meinen Dank aussprechen: Ich danke der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie als Initiatoren. Wobei ich ausdrücklich würdigen möchte, dass Sie, verehrter Herr Metropolit Augoustinos, vor 50 Jahren schon dabei waren. Ich danke dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuss, und ich danke ganz besonders Ihnen, den vielen, vielen engagierten Menschen in Kirchengemeinden, Vereinen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Migrantenorganisationen, die landauf, landab die Interkulturelle Woche mit Leben erfüllen. Ihr – zumeist ehrenamtliches – Engagement geht weit über diese Woche und auch weit über religiöses Zusammenleben hinaus. Sie alle leisten einen unermesslich wertvollen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für unsere Demokratie!
50 Jahre Interkulturelle Woche, das umfasst auch 50 Jahre Auseinandersetzung um das, was es bedeutet, dass Deutschland zum Einwanderungsland geworden ist. Eine Auseinandersetzung, die mit jeder Einwanderungsbewegung seit den 1950er Jahren intensiver und dringlicher geworden ist. Denn natürlich: Migration hat die deutsche Gesellschaft verändert und wird sie weiter verändern. Und ein solcher Wandel der kulturellen Identität, des religiösen Charakters, der sozialen Mentalitäten und der Herkunftsprägungen eines Landes vollzieht sich nicht unbemerkt und bleibt nicht unterhalb des Radars öffentlicher Wahrnehmung.
Die Frage der Einwanderung und des Zusammenlebens in einem Einwanderungsland ist, wie Sie alle spüren und wahrnehmen in Ihrer Tätigkeit, nun schon lange kein Randthema mehr. Sie ist zu einer der großen politischen Fragen und Herausforderungen unserer Gegenwart geworden. Wir ringen heute um die richtigen Antworten, wollen verzichten auf die allzu einfachen Antworten. Und wir sollten diese Aufgabe in ihrer Größe und Tragweite ehrlich anerkennen.
Einwanderung in die Bundesrepublik begann mit der Anwerbung der damals so genannten "Gastarbeiter", ohne die Deutschlands wirtschaftliches Wiedererstarken überhaupt nicht vorstellbar gewesen wäre. Es war eine deutsche Entscheidung aus Eigeninteresse. Auch die DDR kannte mit ihren "Vertragsarbeitern" diese Art von Arbeitsmigration. Aber es blieb natürlich nicht bei Arbeitsmigration allein.
In den Jahrzehnten danach hat sich der Charakter von Zuwanderung in unser Land noch einmal substanziell verändert. Familien kamen nach. Familien wurden in Deutschland gegründet. Wo man sich anfangs gegenseitig fremd war – nicht nur die italienischen, griechischen oder türkischen Einwanderer den Deutschen, sondern auch die Deutschen den Einwanderern –, entstanden dann bald, natürlich nicht ohne Reibung, neue soziale Beziehungen. Das langsame Entstehen von Begriffen wie deutschtürkisch etwa ist ein Hinweis darauf – sicher nicht die Bestätigung für eine streitfreie und erfolgreiche Integrationspolitik, aber doch für ein gewachsenes Bewusstsein, dass Anwerbepolitik und Assoziationsabkommen eine neue Realität geschaffen hatten: dass nicht Arbeitsmaschinen gekommen waren, sondern Menschen mit ihren Bedürfnissen und dem Recht auf Respekt.
Das hat vor allem die Bedingungen und Debatten der 1960er, 1970er und zu einem guten Teil der 1980er Jahre geprägt. Aber neue Konflikte entwickelten sich um die großen Fluchtbewegungen aus den Krisen- und Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens, des Westbalkans, Osteuropas, Afrikas, Syriens und Afghanistans. Jetzt ging es nicht mehr um wirtschaftliches Eigeninteresse, jetzt ging es um das richtige Maß humanitärer Verpflichtung. In dem Maße aber, in dem Deutschland Menschen nicht mehr nur aufnahm, um im Eigeninteresse Arbeitsplätze zu besetzen und die Wirtschaftskraft zu stärken, sondern um ihnen Schutz zu gewähren, verschärfte sich die Diskussion. Bis heute kreist sie im Kern um die Frage, was uns das Gebot von Humanität und Menschlichkeit, auch das Verfassungsgebot des Asylrechts abverlangt und wo Überforderung und Erschöpfung der Aufnahmekapazitäten verlangt, Grenzen zu setzen. Nicht weniger strittig wird die Frage verhandelt, wer wann und unter welchen Bedingungen deutscher Staatsbürger werden darf.
Bittere Debatten waren das, seit mehr als 30 Jahren, die Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen haben. Manche werden sich erinnern: Schon nach der deutschen Wiedervereinigung suchten die großen Parteien Anfang der 1990er Jahre im damals so genannten Asylkompromiss einen Weg, die Zuwanderung zu kontrollieren, zu begrenzen und ein gesellschaftliches Reizthema zu befrieden. Doch verschwunden ist dieses Thema nicht. Seit der Fluchtbewegung des Jahres 2015 hat sich die Debatte über das Maß der Zuwanderung weiter polarisiert und setzt bis heute unsere Gesellschaft in einen Zustand der Dauerspannung und mit scharfen Konfrontationslinien. Mit dieser Lage müssen wir heute zurechtkommen, mit kühler Vernunft, praktischer Politik und, ich hoffe, mit Mitmenschlichkeit! Aus meiner Sicht brauchen wir beides: ehrliche Haltung, die sagt, was wir schaffen müssen und schaffen können, und einen neuen Konsens darüber, dass wir heute ein Land der vielen Herkünfte, Religionen und Kulturen sind und bleiben und dass Deutschsein heute gleichberechtigt auch Einwandererbiografien umfasst.
Ihnen, mit Ihren Erfahrungen, muss ich das nicht sagen; Sie erleben es: Asyl, Flucht, Zuwanderung, kulturelle Vielfalt, all diese Themen wühlen immer noch auf. Keines ist einfach, keines ist selbstverständlich. Gerade deshalb ist die Interkulturelle Woche von so großer Bedeutung. Mit ihr zeigen die Kirchen und alle, die mitwirken, immer wieder: Realismus und Respekt, das muss sich nicht widersprechen. Und Kirchen und diejenigen, die in der Interkulturellen Woche mitwirken, zeigen auch: Zuwanderung war nie einfach, aber sie ist nicht nur eine Problemgeschichte. Sie ist immer wieder auch ein wichtiger Teil der Erfolgsgeschichte unseres Landes geworden.
Vorbehalte und Ressentiments zwischen Menschen, die auf Generationen deutscher Vorfahren zurückblicken, und denen, die neu hinzugekommen sind, hat es immer gegeben. Wir können auch nicht erwarten, dass wir sie ganz aus der Welt schaffen können. Wichtig aber ist, wie wir mit ihnen umgehen, wie wir gemeinsam lernen, wie wir zuerst Wissen, dann Verständnis entwickeln und darüber gemeinsam zu Verständigung kommen. Es ist den Kirchen zu danken, dass sie bei allen Unterschieden immer wieder aufs Neue Humanität eingefordert haben.
Vor 50 Jahren war es ein Fortschritt, eine kluge Entscheidung der Kirchen, nicht nur über die Zugewanderten, sondern auch über uns zu reden, unser Sprechen über die Zugewanderten, und Sprache zu verändern, Sprachsensibilität zu zeigen, weil Sprache Haltung zeigt. Es ist der Kirche zu verdanken, wenn der Begriff des "Gastarbeiters" in Frage gestellt und später verdrängt wurde; wenngleich Ersatzbegriffe wie der vom "ausländischen Mitbürger" heute schon wieder befremdlich in unseren Ohren klingen. Richtig war der Schritt damals gleichwohl. Denn es wurde immer klarer, dass Menschen, die Deutschland in harter Arbeit mit aufbauen, die bleiben, die hier ihre Heimat gefunden haben, keine Gäste sind, sondern Mitbürger; Bürgerinnen und Bürger gleichen Rechts, wenn sie sich für Deutschland als Heimat entschieden und Staatsangehörige wurden. Es berührt mich noch heute, wenn jemand – wie erst kürzlich wieder bei einer Einbürgerungsfeier – mit Tränen in den Augen seinen deutschen Pass entgegennimmt. Und ich bin dankbar, dass die Kirchen die Deutschen schon vor Jahrzehnten gelehrt haben, diesen Menschen mit Wertschätzung und Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen.
Kaum jemand hätte sich vor 50 Jahren vorstellen können, welch große Rolle Menschen mit Einwanderungsgeschichte heute für unser Land spielen. Rund 21 Millionen Menschen in Deutschland sind entweder selbst eingewandert oder ihre Eltern. Das ist ein Viertel der Bevölkerung! Wir sind mehr als ein Land mit Menschen mit Migrationshintergrund. Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund. Ein Deutschland ohne Einwanderer wäre ganz ohne Zweifel ein ärmeres Land.
Ja, es gibt die Fälle, in denen Aufnahme und Integration nicht gelungen sind. Zweifellos. Und darüber reden wir häufig und manchmal aus traurigem Anlass. Das Reden darüber ist notwendig, doch was ich mich manchmal frage: Warum sollten wir nicht auch aus den Erfolgen Zuversicht schöpfen und die vielen Menschen würdigen, die es geschafft haben, sich hier ein gutes neues Leben aufzubauen, die sich hier wohlfühlen, die mitwirken und sich einbringen in unsere Gesellschaft? Deshalb bin ich so dankbar, dass es die Interkulturelle Woche gibt. Sie ist eine Woche der Ermutigung! Die Verdienste von Kirchen und Religionsgemeinschaften um das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen und Kulturen sind gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Lassen Sie uns ohne falsche Scheu das hochhalten, was unsere freiheitliche Demokratie so lebenswert und schützenswert, nicht zuletzt zum Anker der Hoffnung für Menschen aus Diktaturen und Konfliktregionen macht.
Die Fälle, in denen sich eine manifeste Ablehnung unserer freiheitlichen Werteordnung herausbildet, müssen wir dennoch ernst nehmen. Dieser Extremismus kommt heute von verschiedenen Seiten. Rechtsextremisten attackieren unsere Grundwerte und Grundrechte, sogar die Demokratie und alles, was mit ihr an Verheißungen verbunden ist, als Ganzes. Aber auch islamistischer Fundamentalismus oder anders begründete Neigungen zu undemokratischen, autoritären Gesellschaftsmodellen unter Einwanderern zählen zu den Gefahren. Ich finde: Jeder Mensch, der sich für Deutschland entscheidet, muss sich zugleich entscheiden gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Homophobie. Das fordert diese Demokratie von allen – von denen die seit Generationen hier leben, und auch von denjenigen, die hinzukommen. Das ist die berechtigte Erwartung einer liberalen Demokratie, die wir sind und bleiben wollen. Erst recht eines Landes mit unserer Geschichte!
Und zugleich dürfen wir es nicht hinnehmen, wenn Hass auf Einwanderer und Flüchtlinge geschürt wird – wenn Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion diskriminiert, angefeindet, herabgewürdigt, verfolgt werden oder ihnen sogar Gewalt angetan wird. Dies hinzunehmen hieße, das zu beschädigen, was uns ausmacht – am Ende unsere Demokratie.
In einer Zeit voller Ungewissheiten, scharfer gesellschaftlicher Polarisierung, unerbittlicher Zuspitzung in den sozialen Medien, von Verschwörungsmythen und politischer Instrumentalisierung gilt es, nicht die Nerven zu verlieren, den Blick auf den Menschen zu bewahren, Haltung zu zeigen. Das alles tun Sie!
Wir brauchen die Interkulturelle Woche als Raum der Begegnung, des Miteinanders von ganz unterschiedlichen Menschen, die heute in unserem Land leben, die hinzukommen, die hier ihre Heimat finden.
"dafür!" – Ihr Motto zum Jubiläum kann uns alle ermutigen. Gemeinsam können wir viel erreichen!