"Mitmenschlichkeit ist eine tägliche Entscheidung"

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 23. Mai 2025

Bundespräsident Steinmeier hat alle Bürgerinnen und Bürger dazu eingeladen, beim Ehrentag am 23. Mai 2026 mitzumachen. "Gerade jetzt suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung. Genau darum soll es am Ehrentag 2026 gehen", sagte der Bundespräsident bei der Auftaktveranstaltung für die Aktion.

Was für ein Bild! So viele junge Menschen heute hier im Schloss Bellevue zu sehen, die zusammengekommen sind, um unseren Verfassungstag zu feiern!

Vielleicht denken Sie jetzt aber auch: Verfassungstag? Wie bitte? Noch nie gehört. Und damit wären Sie wahrscheinlich nicht allein. So geht es vermutlich vielen Menschen in unserem Land. Der 23. Mai ist kein Feiertag mit Luftballons, roter Brause und Bratwurststand, kein Tag mit Blaskapellen, Open-Air-Konzerten und Straßenfesten, an denen Menschen sich begegnen, miteinander ins Gespräch kommen und zusammen lachen. Aber, wenn Sie mich fragen: Genau so ein Tag sollte der Verfassungstag sein.

Es sollte ein Tag sein, an dem wir unser Land feiern, es gemeinsam hochleben lassen. Denn an diesem Tag wurde im Jahr 1949 unser Grundgesetz verkündet – die Grundlage unserer Demokratie, einem der wertvollsten Geschenke, die wir haben.

Unsere Verfassung, entstanden nach den dunkelsten Jahren deutscher Geschichte. Eine Verfassung, die uns seit 76 Jahren Rechte, Freiheit und Frieden garantiert. Ein Text, der sagt: Jeder Mensch ist gleich viel wert. Ein Text, der unsere Demokratie schützt – aber nicht allein auf ewig garantieren kann. Denn Demokratie ist mehr als Worte auf Papier und mehr als Paragraphen. Demokratie entsteht aus dem, was wir daraus machen. Sie lebt durch uns: durch Beteiligung, durch Einsatz, durch Miteinander.

Und genau deshalb sind wir heute hier. Nicht nur um zu feiern, sondern um zu fragen: Wie machen wir den Verfassungstag zu einem lebendigen Tag, einem Tag, der Mut macht, bewegt, begeistert?

Unsere Antwort heißt: "Der Ehrentag. Für dich. Für uns. Für alle.“ Liebe Gäste, herzlich willkommen im Schloss Bellevue!

Was steckt nun hinter unserer Idee eines Ehrentages für unser Land?

Im nächsten Jahr wird unser Grundgesetz 77 Jahre alt und ich wünsche ich mir, dass wir diesen Geburtstag, diesen Ehrentag nicht nur feiern, sondern ihn mit Leben füllen. Mit einem Tag, der sichtbar macht, was oft abseits der Öffentlichkeit passiert. Mit einem Tag, der Menschen zusammenbringt. Mit einem Tag, an dem wir auch Danke sagen – und gleichzeitig einladen. Am 23. Mai 2026 wollen wir deshalb wieder zusammenkommen. Dann soll "Der Ehrentag. Für dich. Für uns. Für alle.“ erstmals in ganz Deutschland stattfinden. Es ist ein Tag für Mitmenschlichkeit, der sagt: Bürgerin oder Bürger zu sein heißt auch, sich einzubringen, etwas mit anderen zu teilen; etwas zu geben, das einem anderen Menschen hilft oder ihm Freude macht.

Dieser Ehrentag lädt ein, unser Land mitzugestalten – gerade in Zeiten, die uns fordern. Denn wir leben in einer Zeit großer Umbrüche, in der viele sich ohnmächtig fühlen angesichts der Klimakrise, des Krieges in unserer unmittelbaren Nachbarschaft oder der wachsenden Polarisierung in unserer Gesellschaft. Gerade jetzt suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung. Genau darum soll es am Ehrentag 2026 gehen. Engagement als Mittel gegen das Gefühl der Machtlosigkeit. Weil man spürt: Es kommt auch auf mich an. Ich kann etwas bewirken. Ich mache einen Unterschied. Und: Das ist nicht nur gut für mich, es ist auch gut für uns alle, für eine aktive, lebendige Demokratie. Wer etwas für andere tut, bekommt oft mehr zurück, als er gibt: Freude, Begegnung, Sinn. Dort, wo Menschen sich erleben als aktive Gestalterinnen und Gestalter, da wächst Vertrauen: in sich selbst, ins Gegenüber, in die Gesellschaft. Da wächst Gemeinschaft. Da wächst Zusammenhalt.

Ein starkes Gemeinwesen lebt von Begegnung. Und dort, wo wir einander begegnen, wo wir einander zuhören, wo wir Perspektiven von anderen kennenlernen, aus ganz unterschiedlichen Teilen unserer Gesellschaft, da wächst Verständnis und Mitgefühl, da entsteht Solidarität. Deshalb: Raus aus der eigenen Komfortzone! Ich möchte mit dieser Initiative alle erreichen und jeder und jedem Einzelnen zurufen: Pack mit an – für dich, für uns, für alle!

Ich weiß natürlich, Sie alle muss ich davon nicht überzeugen. Viele von Ihnen hier im Saal vertreten die immer noch fast 30 Millionen Engagierten in unserem Land. Das ist viel. Weil sich so viele schon jeden Tag in unserem Land engagieren – als Rettungsschwimmerin, als Sterbebegleiter, als Fußballtrainerin, bei der Jugendfeuerwehr, als Sozialpate für benachteiligte Jugendliche, in Kulturstätten, für Demokratieprojekte, gegen Hass und Gewalt oder für Klimaschutz, im THW, beim Roten Kreuz –, deshalb, sage ich heute an erster Stelle: Danke! Ich danke Ihnen allen, die Sie unser Land zu einem besseren machen, es zusammenhalten. Ob in klassischen Strukturen oder auf neuen Wegen: Sie alle haben unsere volle Unterstützung verdient. Und da setzt der Ehrentag an. Wir wollen Ihnen auf keinen Fall Mehrarbeit machen, im Gegenteil: Der Ehrentag soll dazu beitragen, dass Sie noch viele helfende Hände hinzubekommen, von denen hoffentlich ein großer Teil über den einen Tag hinaus aktiv bleibt.

Zugegeben: Wir sind nicht die Ersten, die auf diese Idee gekommen sind. In Großbritannien gibt es seit 2022 eine ganz ähnliche Aktion, die uns inspiriert hat – den sogenannten Big Help Out. Millionen Menschen haben sich im ganzen Land daran beteiligt – mit großem, und vor allem nachhaltigem Erfolg. Drei von vier Teilnehmenden sagen von sich, dass sie seit der Aktion ein stärkeres Gefühl von Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft vor Ort entwickelt haben, fast 80 Prozent kamen mit Menschen zusammen, die sie zum ersten Mal trafen, Menschen aus anderen Lebenswelten. Wir nehmen das als Inspiration. Natürlich: Der Ehrentag bei uns wird eine ganz eigene Handschrift tragen – eine, die die Vielfalt unseres Landes widerspiegelt.

Was soll also passieren an unserem Ehrentag? Mein Wunsch: Ganz Deutschland soll zu einer Bühne werden fürs Bessermachen. Da kocht ein Sportverein mit Geflüchteten und lädt zum Essen und gemeinsamen Sportfest ein; da singt ein Chor in der JVA; da wird vorgelesen im Seniorenstift oder Plastikmüll aus dem Bach in der Umgebung gefischt; Da pflanzen Nachbarschaften gemeinsam Blumeninseln im Kiez. Da helfen junge Menschen Seniorinnen und Senioren bei WhatsApp und bei der Bestellung in der Apotheke. Da renoviert ein IT-Unternehmen das Kinder- und Jugendzentrum um die Ecke oder organisiert ein Straßenfest. Auch kleine Initiativen zeigen die Größe der Idee. In der Summe entsteht hoffentlich in allen Teilen unseres Landes ein Mosaik der Gemeinsamkeit, in dem wir uns als zusammengehörig erleben.

Und ich sage ausdrücklich: Der Ehrentag darf auch Spaß machen! Engagement ist nicht nur Einsatz, es ist auch Begegnung, Lachen, Gemeinschaftsgefühl. Wer gemeinsam anpackt, erlebt oft, wie leicht sich Sinn und Freude miteinander verbinden lassen. Und wer sich einmal engagiert hat, sagt hinterher oft: Ich hätte nie gedacht, wie gut sich das anfühlt. Mitmachen lohnt sich also doppelt.

Einen ganzen Tag lang engagieren sich Menschen für andere, für mehr Chancengleichheit oder für eine bessere Umwelt – für ein besseres, ein gerechteres, ein lebenswertes Deutschland. Und das Beste: Jede und jeder kann mitmachen. Ganz gleich, ob man sich schon lange engagiert oder sich zum ersten Mal neugierig die Frage stellt: Was kann ich eigentlich tun? Gerade Menschen, die sich bisher noch nicht engagiert haben, wollen wir ermutigen mitzumachen – ganz ohne Hürden. Die, die bislang dachten: Ich habe doch gar nichts anzubieten. Doch, habt Ihr. Jede und jeder hat Talente, Ideen, etwas Zeit. Es spielt keine Rolle, ob es eine halbe oder fünf Stunden sind oder auch mehr an diesem Tag. Engagement ist so vielfältig wie die Menschen in unserem Land – auch das wollen wir mit dem Ehrentag deutlich machen.

Zu einem Tag wie dem heutigen gehört es auch, all jenen zu danken, die so ein Projekt überhaupt ermöglichen. Allen voran der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Liebe Frau Peranić, lieber Herr Holze, Sie entwickeln diese Initiative des Ehrentages mit uns, mit großer Sorgfalt und Leidenschaft. Als junge, bestens vernetzte und bundesweite Ehrenamtsstiftung könnte ich mir keinen besseren Partner vorstellen. Mein herzlicher Dank gilt außerdem der Deutschen Postcode Lotterie – Ihnen, Frau Behrends – und der Zeit-Stiftung Bucerius – Ihnen, Herr Hartung – die Sie das Projekt mit finanziellen Mitteln, Ideen und Reichweite und nicht zuletzt persönlich aus vollem Herzen unterstützen.

Und – das ist mir echtes Anliegen – ich danke den mehr als 110 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die bereits jetzt signalisiert haben: Wir sind dabei! Wir gehen voran und zeigen, wie es geht! Wir setzen uns ein für den Ehrentag am 23. Mai 2026 – in Städten, Gemeinden und Quartieren. Einige von Ihnen sind heute hier im Saal. Sie sind großartig! Ohne Sie alle wäre dieses Projekt gar nicht möglich!

Mein besonderer Dank gilt den vielen jungen Menschen im Saal: Ihr seid das Herz des heutigen Tages und des ersten Ehrentages im Jahr 2026. Weil Ihr nicht auf Man müsste mal … wartet. Weil Ihr Lust habt auf Zukunft. Und genau diese Energie brauchen wir. Am heutigen 23. Mai und am 23. Mai 2026 – da ganz besonders. Ihr wisst, was Eure Generation bewegt. Ihr habt Ideen, wie Engagement auch anders aussehen kann: flexibler, digitaler, niederschwelliger. Mit weniger Formalitäten, aber nicht mit weniger Herz.

Ich danke Euch, dass Ihr das Projekt mit Rat und Tat begleitet. Den heutigen Nachmittag verbringt Ihr hier im Schloss Bellevue mit Workshops, die sich der Frage widmen, wie der Ehrentag gerade in Euren Initiativen und Organisationen und in Eurer Generation ein Erfolg werden kann. Und heute Abend sehen wir uns nochmal, zu einem feierlichen Bankett. Mit dem will ich Euch danken: Für das, was Ihr als Engagierte schon in jungen Jahren ganz selbstverständlich und mit großem Engagement für unser Land tut. Und für alles, was noch kommt – hoffentlich auch beim Ehrentag 2026. Deshalb will ich Euch ermutigen: Plant eine Aktion! Macht Werbung dafür! Geht in Eure Schulen, Hochschulen, Betriebe und Freundeskreise und sagt: Am 23. Mai machen wir mit. Und Ihr?

Ich wünsche mir, dass dieser Ehrentag ein Anfang ist. Ein Anfang für viele, die sich zum ersten Mal engagieren. Ein Anstoß für neue Begegnungen. Ein Aha-Moment für Menschen, die entdecken: Mitmenschlichkeit ist eine tägliche Entscheidung. Sie entsteht überall da, wo wir bereit sind, etwas zu geben: Zeit, Unterstützung, eine kleine Geste im Alltag. Und sie beginnt bei Dir. Bei mir. Bei uns allen.

In diesem Sinne: "Der Ehrentag. Für dich. Für uns. Für alle.“ Danke an alle Beteiligten und ich freue mich auf das, was wir gemeinsam daraus machen!