Wie wichtig es ist, nie aufzuhören zu fragen, das wusste schon Albert Einstein. Neugier, die Kunst des Fragens, ist seit jeher die Quelle allen wissenschaftlichen Fortschritts. Und dass der diesjährige Bundeswettbewerb "Jugend forscht" – immerhin der sechzigste – unter dem Motto steht: Macht aus Fragen Antworten
, das spiegelt genau diese Haltung wider. Und damit auch Ihre Haltung. Sie alle wollen den Dingen auf den Grund gehen, und das ist gut so. Und Sie alle wollen nicht nur auf schon bekannte Fragen Antworten suchen, sondern auch eigene, neue Fragen stellen – und Lösungen dafür finden. Ich freue mich sehr, heute hier bei Ihnen zu sein! Danke für die Einladung und herzlich willkommen Ihnen allen!
Aus Fragen Antworten machen: Sie alle tun das mit Neugier, mit wissenschaftlichem Interesse, mit sehr viel Leidenschaft und Forscherdrang. Und damit steht dieser Wettbewerb auch für etwas, was uns als Gesellschaft nicht verloren gehen darf, was wir dringend brauchen: die Offenheit, Fragen und Problemen sachlich auf den Grund zu gehen und Herausforderungen, vor denen wir als ganze Gesellschaft stehen, wissenschafts- und faktenbasiert mit Vernunft anzugehen.
Viele wissen es sicher: Die erste Preisverleihung von "Jugend forscht" fand im Jahr 1966 in Hamburg statt – man kann also sagen, dass wir heute tatsächlich zu den Ursprüngen des Wettbewerbs zurückkehren. Aber wenn wir auf diese Zeitspanne blicken, dann sehen wir auch, dass die Bundesrepublik heute in vielerlei Hinsicht ein anderes Land geworden ist: 1966 lag der Bau der Berliner Mauer gerade fünf Jahre hinter uns, heute ist Deutschland zu unserem Glück wiedervereint. Aber vor allem ist unsere Gesellschaft vielfältiger geworden. Auch das internationale Umfeld und Deutschlands Rolle darin haben sich stark verändert. Globalisierung, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt, alles das hat in vielen Bereichen zu Umwälzungen geführt, die man sich zum Zeitpunkt der ersten Preisverleihung 1966 gar nicht hat vorstellen können.
Und doch scheinen manche Herausforderungen von damals auch heute wieder aktuell, wenn ich mir die aktuellen Debatten über Bildung und Bildungspolitik vor Augen führe. Damals, in den 1960er Jahren, fürchtete man um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, sogar das jähe Ende der noch jungen Erfolgsgeschichte unseres Landes. Der Philosoph und Pädagoge Georg Picht warnte damals vor nicht weniger als einer drohenden deutschen Bildungskatastrophe
. Ich gehöre zu der glücklichen Generation, die von der dann folgenden Bildungsoffensive in den frühen 1970er Jahren profitiert hat. Indem zum Beispiel politisch gezielt gegengesteuert wurde, um Kindern den Weg hin zu höheren Bildungsabschlüssen zu ermöglichen, deren Eltern keine Hochschule besucht haben – mit Schüler-BAföG, Schüleraustauschen und Auslandsstipendien. Aber ganz sicher auch, weil engagierte Persönlichkeiten wie Henri Nannen die Initiative ergriffen und einen Wettbewerb wie "Jugend forscht" ins Leben gerufen haben.
Aber: Das Thema Bildung ist nie erledigt. Bildungspolitik ist nie endgültig, immer unfertig, weil sie sich dem Wandel von Gesellschaft, sich verändernden Erwartungen und neuen Herausforderungen stellen und immer mitwachsen muss. In der Interpunktion der Bildungspolitik gibt es keinen Punkt, sondern immer nur ein Komma. Das gilt umso mehr, seit unser Bildungssystem selbst Teil eines globalen Wettbewerbs geworden ist. Studien der jüngeren Vergangenheit haben uns auf unsere Defizite hingewiesen, gerade im internationalen Vergleich. Und ich glaube, wir haben durchaus daraus gelernt; speziell, in die frühkindliche Bildung zu investieren. Und ja, es ist viel getan worden, um unsere Schulen zu verbessern. Dennoch sind unsere Schulen noch häufig weit davon entfernt, die Kathedralen der Wissensvermittlung zu sein, die wir uns wünschen und die wir brauchen. Für ein gutes und zugleich gerechtes Bildungssystem müssen wir weiterhin jede Anstrengung unternehmen. Und die Anstrengungen werden eher schwerer denn leichter. Wenn es um die Gewinnung von neuen Lehrkräften geht: Das kommt angesichts von Demographie und einem von Mangel geprägten Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren der Quadratur des Kreises gleich. Und so dringend notwendig Sanierung und Neubau von Schulen bleiben, sie werden unter engeren finanziellen Verhältnissen stattfinden, als wir sie in den letzten anderthalb Jahrzehnten erlebt haben.
Trotz aller Schwierigkeiten: Wir müssen erfolgreich sein! Wir müssen besser darin werden, dass junge Menschen ihr Potenzial ausschöpfen können – unabhängig davon, wo sie aufwachsen, ob ihre Eltern studiert haben oder nicht, wie hoch das Familieneinkommen ist und welche Sprache im Elternhaus gesprochen wird. Und noch etwas ist mir wichtig: Der Anteil junger Mädchen und Frauen ist bei "Jugend forscht" erfreulicherweise auch in diesem Jahr weiter gestiegen. Das ist gut. Aber ich bleibe überzeugt: Gerade junge Frauen müssen wir weiter ermutigen, sich nicht einreden zu lassen, dass Naturwissenschaften und Technik nichts seien für sie. Gut, dass Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen mit ihrer Arbeit tagtäglich beweisen, dass das Gegenteil wahr ist.
Ich bin überzeugt: Wir können es uns als Gesellschaft schlicht nicht leisten, das Potenzial junger Menschen brachliegen zu lassen – vor allem um ihrer selbst willen. Aber auch, weil unser Land sie alle dringend braucht. Wir brauchen junge engagierte Menschen, die Lösungen finden für die großen Herausforderungen: die forschen und tüfteln, wie Heilungserfolge in der Medizin verbessert werden können oder wie wir unsere Wirtschaft klimaverträglich und nachhaltig umbauen können; die die Zukunft der Energieerzeugung und der Mobilität erforschen; die Modelle entwerfen, mit denen wir unseren Wohlstand sichern und unsere Sozialsysteme zukunftstauglich gestalten können; die Zukunftstechnologien wie KI oder Quantentechnologien weiterentwickeln, ohne die großen ethischen und gesellschaftlichen Fragen auszuklammern, die sich gerade hier stellen.
Ja, die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind groß, und manchmal verunsichern sie. Die Corona-Debatten liegen noch nicht weit hinter uns – wir haben alle die Zeit noch gut in Erinnerung, in der Wissenschaftsskepsis gewachsen oder gezielt verbreitet worden ist. Das kann und das wird nicht unser Weg sein.
Wir müssen werben für eine offene Gesellschaft und eine freie Wissenschaft, ohne die ein Fortschritt auf Basis von Fakten und anerkannter Expertise gar nicht möglich ist. Wir lernen in diesen Tagen allerdings auch, dass Verunsicherung Strategie sein kann. Täglich erreichen uns neue Nachrichten aus den USA über Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit. Da werden Universitäten geschurigelt. Da wird ihnen, wie zuletzt Harvard, das Geld entzogen, um sie vermeintlich auf Linie zu bringen. Da wird der Wert von Wissenschaft insgesamt in Zweifel gezogen. Das weltweit anerkannteste, hochleistungsfähige Wissenschafts- und Universitätssystem der USA droht im Augenblick in der Mühle von Populismus und dem Kampf gegen das sogenannte Establishment leichtfertig zerrieben zu werden. Der Feinderklärung an die freie Wissenschaft müssen wir uns in Deutschland entgegenstellen! Und ich weiß: Sie, liebe Jungforschende, tun das schon in jungen Jahren, und dafür danke ich Ihnen.
Mit wie viel Begeisterung und wie viel Begabung Sie bei diesem Wettbewerb unterwegs sind, das habe ich schon vor sechs Jahren in Chemnitz erlebt. Ich erinnere mich gut an eine junge Frau aus Kaiserslautern, die damals Bundessiegerin im Fachgebiet Arbeitswelt wurde. Ihr Projekt sollte helfen, mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Krebsdiagnostik schneller und effizienter zu machen. Heute studiert sie Medizin am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und hat sich im vergangenen Jahr in einem Perspektivforum mit Trägern des Deutschen Zukunftspreises ausgetauscht.
Zwei andere Teilnehmer erhielten seinerzeit im Fachgebiet Technik für ihr "Hoverboard" den 1. Preis. Ihr Projekt schaffte es danach nicht nur in eine Ausstellung des Berliner Futuriums, sondern aus der Idee wurde ein Patent und später ein Start-up, das an der ETH Zürich weiterentwickelt wird. Welch beeindruckende Wege! Und das sind nur wenige Beispiele, es gäbe viele solcher Geschichten zu erzählen.
Sie alle illustrieren eines: "Jugend forscht" bringt nicht nur Inspirationen und Innovationen hervor, die unser Land zu einem besseren machen. Der Wettbewerb ist zugleich – und da passt es ganz gut, dass wir hier in einem Flugzeughangar sind – eine Karrierestartbahn für die Wissenschaftlerinnen und Erfinder von morgen. Ich wünsche Ihnen allen, liebe Finalistinnen und Finalisten, dass Sie Ihren Weg erfolgreich und mit viel Freude weitergehen!
Sie alle stehen für das gewaltige Potenzial, das es in unserem Land gibt, für Energie, Kreativität, Ideenreichtum, für das wissenschaftliche Interesse, das so viele junge Menschen in unserem Land haben. Und der Wettbewerb zeigt auch, wie produktiv die Zusammenarbeit sein kann zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Partnern; was möglich ist, wenn Unternehmertum und freiwilliges ehrenamtliches Engagement wie hier beim Wettbewerb zusammenkommen. Was kann dieses Land nicht alles erreichen, wenn wir gemeinsam an unserer Zukunft arbeiten, statt sie zu beklagen! Sie alle, liebe Jungforschende, sind der beste Beweis dafür, und dafür danken wir Ihnen.
Zum Schluss danke ich an dieser Stelle allen, die "Jugend forscht" ermöglicht haben und möglich machen, den Mitarbeitern der Stiftung und ihrer Geschäftsstelle, den vielen staatlichen und nichtstaatlichen Unterstützern und Förderern des Wettbewerbs und den vielen ehrenamtlichen Helfern, ohne deren Arbeit als Mentoren oder Juroren der Wettbewerb undenkbar wäre. Herzlichen Dank Ihnen allen!
Und jetzt freue ich mich mit Ihnen auf das Finale dieses 60. Bundeswettbewerbs, an dem sich wieder über 10.000 junge Menschen beteiligt haben. Was für eine Zahl! Rund 170 junge Forscherinnen und Forscher, die aus Fragen Antworten gemacht haben, haben sich für das diesjährige Bundesfinale qualifiziert. Ich bin sehr gespannt auf die Entscheidung der Jury – leicht kann sie ihr nicht gefallen sein.
Ihnen allen viel Erfolg und alles Gute – und jetzt schon: herzlichen Glückwunsch!