Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der Verabschiedung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 16. März 2010

Der Bundespräsident verliest im Großen Saal von Schloss Bellevue den Text der Entlassungsurkunde für den scheidenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Daneben steht der neue Gerichtspräsident, Andreas Voßkuhle.

Herzlich willkommen! Sie wissen, wozu wir hier zusammengekommen sind: Es handelt sich um die: "urkundliche Vollziehung der personellen Veränderungen beim Bundesverfassungsgericht". Nichtjuristen sollten wissen: Es ist wie bei einer Hochzeit: Der Termin beim Standesamt ist entscheidend - gefeiert wird später. Und wir feiern am 14. Mai.

Lieber Herr Papier,

es gibt kaum einen besseren Ort als Berlin, um Sie aus Ihrem Amt zu verabschieden. Denn Ihr Lebensweg ist mit dieser Stadt verknüpft. Hier wurden Sie 1943 geboren. Hier haben Sie die Schule besucht und studiert. Hier haben Sie promoviert und habilitiert.

Als Beispiel für die These, der Berliner verlasse die Geborgenheit seines "Kiezes" nur sehr ungern, kann man Sie aber nicht anführen: 1974 verließen Sie die Stadt, um einen Ruf an die Universität Bielefeld anzunehmen und etwas später auch als nebenamtlicher Richter am Oberverwaltungsgericht Münster richterliche Erfahrung zu sammeln.

1988 gründeten Sie dann das erste Institut für Umweltrecht in Deutschland. Ihr wissenschaftliches Interesse ging jedoch weit über das Umweltrecht hinaus. Nimmt man Ihre 378 Veröffentlichungen - Stand: 2009 - zum Maßstab, gibt es wahrscheinlich kaum ein Problem des öffentlichen Rechts, das der leidenschaftliche Staatsrechtslehrer Papier nicht irgendwann aufgegriffen und wissenschaftlich durchdrungen hat.

Schließlich wagten Sie sich 1992 in die "Höhle des bayerischen Löwen" und nahmen eine Professur für Deutsches und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht sowie öffentliches Sozialrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München an. Obwohl Sie in einer Ihrer Vorlesungen einmal versucht haben sollen, den bayerischen Regierungsbezirk "Niederbayern" in "Unterbayern" umzutaufen, hat der Freistaat Sie schon bald in sein Herz geschlossen.

Wenn da nur nicht die bayerischen Feiertage gewesen wären. Die können Sie, wie Ihre Sekretärin am Lehrstuhl in München einmal erklärt haben soll, gar nicht so recht genießen. Denn in Wochen mit vielen Feiertagen schafft man einfach nichts - und solche Wochen kommen in Bayern nun einmal häufiger vor als im Rest der Republik.

Vor derartigen Gefährdungen hat Sie schließlich Ihr Vorsitz bei der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR bewahrt. Ihre Sitzungen sollen ab 1992 häufig an fast exklusiv bayerischen Feiertagen im feiertagsarmen Berlin stattgefunden haben.

1998 wurde schließlich aus dem leidenschaftlichen Staatsrechtslehrer ein leidenschaftlicher Verfassungsrichter. Von Ihren hervorragenden Qualitäten wusste Bundespräsident Roman Herzog im Vorfeld Ihrer Ernennung mit den Worten "Den habe ich bereits im Referendarexamen geprüft" zu berichten.

Schnell hatten Sie das von ihrem Vorgänger übernommene, mit vielen Fällen zum Thema Eigentum und Erbrecht gut gefüllte Dezernat abgearbeitet. "Haben wir noch etwas?" soll schon bald die bei Ihren Mitarbeitern am meisten gefürchtete Frage gewesen sein. Über Ihre Arbeitsgeschwindigkeit hieß es, "das sei ja wie beim Brezelbacken"; für den Sohn eines Bäckers wohl das höchste Lob.

Als Berichterstatter haben Sie wichtige erbrechtliche Senatsentscheidungen vorbereitet. Unter Ihrem Vorsitz beschäftigte der Erste Senat sich mehrfach mit Fällen, die das Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit berührten. Dazu gehörten etwa die Urteile zum Großen Lauschangriff und zum Luftsicherheitsgesetz. Im Bereich des Sozialrechts hatten Sie über die letzte Gesundheitsreform und die Hartz-IV-Regelsätze zu entscheiden.

Als Präsident des Bundesverfassungsgerichts haben Sie immer wieder auch das Thema des Zusammenhalts unserer Gesellschaft aufgegriffen. Sie haben dazu aufgefordert, sich der Grundlagen für das Wohlergehen unserer Gesellschaft und unserer Demokratie bewusst zu werden und gesetzliche, aber auch mentale Veränderungen angemahnt, wo Sie es für notwendig hielten. So haben Sie etwa die Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags angeregt, Volksinitiativen vorgeschlagen und ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages erwogen. Das hat Ihnen in der politischen Öffentlichkeit nicht nur Zustimmung eingetragen.

Ich denke gleichwohl, dass es entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist, die Erhaltung und Verbesserung der Vitalität unserer Demokratie immer wieder zum Thema zu machen und sensibel für sich ändernde Rahmenbedingungen zu sein.

Wenn es am schönsten ist - so sagt der Volksmund -, soll man bekanntlich aufhören. Wer die beiden letzten großen Entscheidungen des Ersten Senats zur Höhe der Hartz-IV-Regelsätze und zur Vorratsdatenspeicherung mit verfolgt hat, erkennt leicht, Sie haben bis zum Ende Ihrer Amtszeit Ihre Aufgabe mit großer Freude und Überzeugungskraft wahrgenommen. Sie haben dem Bundesverfassungsgericht als Präsident in der Öffentlichkeit Gesicht und Stimme gegeben, beides unverwechselbar und mit Erfolg. Sie haben das hohe Ansehen des Bundesverfassungsgerichts gemehrt. Eigentlich ist Ihre Amtszeit bereits am 28. Februar zu Ende gegangen, aber es hat noch einige Tage gedauert, bis die sich daraus ergebenden Personalfragen förmlich geklärt worden sind. Ich denke, Sie werden es nicht bedauern, dass nun keine weiteren "Überstunden" in Karlsruhe abzuleisten sind. Denn Sie wollen - wenn ich richtig informiert bin - wieder zurück zu Ihren beruflichen Wurzeln und sich nachwachsenden Juristen-Generationen an der Universität München widmen. Hierfür und für den nun vor Ihnen liegenden Lebensabschnitt wünsche ich Ihnen Gesundheit, Schaffenskraft und Gottes Segen.

Ich möchte Ihnen aufrichtig danken - Danke für die vielen Jahre, in denen Sie als Vizepräsident und Präsident an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts gestanden haben. Sie haben das Gericht mit Würde vertreten, an wegweisenden Entscheidungen mitgewirkt und die öffentliche Debatte immer wieder mit klugen Beiträgen bereichert. Sie haben sich um unser Vaterland verdient gemacht. Es ist mir daher eine besondere Freude, Ihnen heute das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.

Lieber Herr Voßkuhle,

vor nicht ganz zwei Jahren durfte ich Ihnen Ihre Ernennungsurkunde zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts überreichen. Ihre Feuertaufe haben Sie inzwischen unter anderem im Verfahren um das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon bestanden.

In Ihrem neuen Amt als Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden Sie das Gericht auch nach außen vertreten und den Menschen seine Entscheidungen verständlich machen müssen - insbesondere dann, wenn die einmal nicht den Erwartungen entspricht. Dafür wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand.

Lieber Herr Kirchhof,

Sie hatten sich als Professor für öffentliches Recht bereits einen hervorragenden Ruf erworben, als Sie 2007 zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ernannt wurden.

In Ihren fachkundigen Händen liegt seitdem das Sozialrecht. Sie haben seit Ihrem Amtsantritt unter anderem die wichtige Entscheidung zur Höhe der Hartz IV-Regelsätze vorbereitet.

Sie übernehmen nun an der Seite von Herrn Voßkuhle das Amt des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts und damit den Vorsitz im Ersten Senat.

Auch Ihnen wünsche ich für Ihre neue Aufgabe viel Erfolg.

Lieber Herr Paulus,

Sie treten heute ihr neues Amt als Richter des Bundesverfassungsgerichts im Ersten Senat an.

Ihre akademischen Wurzeln liegen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dort haben Sie 2006 zum Thema "Parlament und Streitkräfteeinsatz in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Perspektive" habilitiert - ein Thema von großer Aktualität. Seit dem Wintersemester 2006/2007 sind Sie Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie gelten als herausragender Experte auf dem Gebiet des Völkerrechts. Mehrfach haben Sie die Bundesrepublik Deutschland in komplizierten völkerrechtlichen Streitigkeiten beraten und vertreten. All das qualifiziert Sie in hohem Maße für Ihr neues Amt.

Sie kommen - lieber Herr Paulus - in vergleichsweise jungen Jahren an das höchste deutsche Gericht. Nehmen Sie das als Vorteil. Sie können mit "jugendlichem Elan" und frischem Blick die Rechtsprechung Ihres Senats bereichern. Und ich weiß: Ihre Richterkolleginnen und -kollegen werden Sie schnell in ihren Reihen aufnehmen und willkommen heißen. Ich wünsche Ihnen viel Glück und alles Gute für Ihr neues Amt.