Adventskonzert beim Bundespräsidenten

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 10. Dezember 2015

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 10. Dezember zu einem Adventskonzert in das Schloss Bellevue eingeladen. In seiner Ansprache hieß es: "Jedes Fest, jede feierliche Stunde, die wir miteinander verbringen, eröffnet, und sei sie noch so klein, die Möglichkeit, dass das Leben gelingt, dass unser Zusammensein glückt und Glück ermöglicht."

Adventskonzert beim Bundespräsidenten mit der Gächinger Kantorei im Großen Saal von Schloss Bellevue

In Der kleine Prinz, jenem Wunderbuch für Kinder und Erwachsene, das vor ziemlich genau siebzig Jahren erschienen ist und Menschen in aller Welt begeistert gibt es eine Episode, die könnte auch für unseren heutigen Abend bedeutsam sein:

Der Fuchs trifft sich mit seinem neuen Freund, dem kleinen Prinzen, dieser aber ist unpünktlich und wird daher vom Fuchs ermahnt:

Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittag kommst, kann ich um drei Uhr anfangen glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, umso glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahren wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen, wann mein Herz da sein soll... Es muss feste Bräuche geben.

Was heißt ‚fester Brauch‘? sagte der kleine Prinz.

Auch etwas in Vergessenheit Geratenes“, sagte der Fuchs. „Es ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von anderen Stunden.

Weil es feste Bräuche geben muss, liebe Gäste, darum sind wir heute Abend hier zusammen gekommen. Weil es zumindest hier im Schloss Bellevue den festen Brauch gibt, dass der Bundespräsident einmal im Jahr zum Adventskonzert einlädt. Und dass er dabei als Gäste Menschen zu sich bittet, die im vergangenen Jahr auf die eine oder andere Weise seine Arbeit unterstützt haben. Ich freue mich, dass Sie alle, verehrte Gäste, in diesem Jahr dieser Einladung gefolgt sind. Bei Ihnen allen möchte ich mich bedanken. Sie haben mich selber in meiner Arbeit unterstützt oder die Arbeit von Daniela Schadt oder auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundespräsidialamt.

Wir gönnen uns heute einen Abend, der sich von anderen Abenden unterscheidet. Wie sich die ganze Adventszeit ja von den anderen Zeiten im Jahr unterscheidet. Zu den kostbarsten Bräuchen, die wir in unseren Breiten kennen und die wir jedes Jahr begehen, gehören das Weihnachtsfest und die ihm vorangehende Zeit des Advents.

Es hat eine Zeit gegeben, in der man sich von allem Überkommenen am liebsten befreien und Bräuche und Traditionen als alte Zöpfe radikal abschneiden wollte.

So richtig und wichtig dies in einigen Fällen auch immer sein mochte, so haben wir inzwischen aber doch gemerkt, dass wir uns nicht alles immerfort selber ausdenken, nicht alles selber gestalten können, was unserem Leben Sinn und Tiefe zu geben vermag. Alles von Bedeutung selber machen zu wollen, würde zu einer großen Überanstrengung und Selbstüberforderung führen.

So dürfen wir ruhig dankbar sein für diese nicht von uns selber geprägte und geformte Zeit von Advent und Weihnachten. Wir dürfen uns dankbar die Geschichten wieder erzählen lassen, die wir uns nicht selber ausgedacht haben und die seit alters her zu dieser Zeit gehören. Wir können in die Lieder einstimmen, die schon seit Generationen im Advent gesungen werden. Wir erfahren so, dass wir von erzählten Welt- und Lebensdeutungen leben: Wir leben von dem, was vor uns da war, von Orientierung, die uns angeboten, von Sinn, der uns geschenkt wird.

Wir können die Praxis aufnehmen, die sich seit langem mit dieser festlichen Zeit verbindet: Wir stecken Kerzen an, backen Plätzchen, öffnen Türen an den Adventskalendern, wir zählen die Tage bis zum Fest, grüßen und besuchen einander und schenken einander etwas, um zu zeigen, was wir einander bedeuten. Wir versuchen Frieden auch in der Familie, wo er nicht immer am einfachsten ist.

Es muss feste Bräuche geben: Einerseits rufen sie uns aus dem gewöhnlichen Getriebe und aus den alltäglichen Anstrengungen heraus in eine festliche, eine andere Gegenwart. Jedes Fest, jede feierliche Stunde, die wir miteinander verbringen, eröffnet, und sei sie noch so klein, die Möglichkeit, dass das Leben gelingt, dass unser Zusammensein glückt und Glück ermöglicht.

Andererseits bringen feste Bräuche es auch mit sich, dass der Kalender keinen Unterschied macht: Denn Advent und Weihnachten kommt immer auf alle zu. Ob sie in Vorfreude sind und in Erwartung, wie wir es alle hoffentlich wenigstens aus unserer Kindheit kennen, oder ob sie verzagt sind oder traurig oder ob sie gar nicht in Stimmung sind in diesem Jahr oder in anderen Zeiten.

Man kann nicht darüber abstimmen, ob in diesem Jahr wieder Weihnachten sein soll. Es ist eben ein fester Brauch. Und es ist gut so. So haben wir die Chance, uns vielleicht doch ergreifen zu lassen, auch wenn uns gerade gar nicht danach ist, von den Liedern, den Geschichten, von den Gerüchen und Köstlichkeiten, von den Kerzen, dem Schmuck und dem Zauber, der die Welt für kurze Momente wenigstens zu verwandeln in der Lage ist.

Die Welt ist zur Zeit nicht so, dass es uns leicht ums Herz wäre. Die Welt ist nicht so, dass es uns leicht fallen kann, in diesem Jahr Weihnachten zu feiern. Aber das war in der Geschichte oft so. Auch, die es nicht selber erlebt haben wie ich, sie wissen es: Die unbeschwerteren Zeiten sind die selteneren.

Einige der ergreifendsten Weihnachtslieder sind im oder kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg geschrieben, wie zum Beispiel Ich steh’ an deiner Krippen hier von Paul Gerhardt. In den wahrhaftig finsteren Zeiten, denen er ausgesetzt war, dichtet er darin die Strophe:

Ich lag in tiefster Todesnacht

Du wurdest meine Sonne Die Sonne, die mir zugebracht

Licht, Leben, Freud und Wonne

O Sonne, die das werte Licht

Des Glaubens in mir zugericht

Wie schön sind deine Strahlen.

Das sind Zeilen eines schwer geprüften, eines dann offenbar gefestigten und tiefen Glaubens. Es kann uns, wenn unsere Seele aufgewühlt ist und sich ängstigt, ein Trost sein, zu sehen, wie andere einen Trost gefunden haben. Und auch wer den weihnachtlichen Glauben an die Geburt des Erlösers so explizit nicht teilen kann, wird vielleicht aber doch die Sehnsucht spüren nach einem Frieden, einer Seelenruhe, einer Vollendung, wie sie in vielen adventlichen und weihnachtlichen Liedern zum Ausdruck kommt.

Jetzt freue ich mich sehr, dass wir heute die hochberühmte Gächinger Kantorei zu Gast haben, die uns diese alten und manchmal auch nicht so alten Lieder vortragen wird. Auch die Zeilen Paul Gerhardts, die ich gerade zitiert habe, sie werden gleich erklingen. Das empfinde ich selbst schon als ein persönliches Geschenk.

Und dann ein anderes Geschenk, denn dazwischen hören wir die Stimme von Christian Brückner. Das sage ich jetzt gleich, denn manch einer könnte nachher beim Zuhören denken, Robert de Niro wäre hier im Schloss Bellevue. Er hätte sogar nicht völlig unrecht, wie wir wissen: Aber es ist in Wirklichkeit der wunderbare Christian Brückner, der sich in die Herzen ungezählter Menschen hinein gesprochen und gelesen hat, und heute ist er nun mitten unter uns. Er existiert tatsächlich live.

Er wird uns eine Geschichte vorlesen, die vielleicht wahr ist und vielleicht auch nicht – die aber in jeden Fall wahr werden kann, wenn wir sie wahr machen.