Eröffnung des Dokumentationszentrums für die Opfer deutscher Diktaturen

Schwerpunktthema: Rede

Schwerin, , 6. Juni 2001

Ich bin gerne nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen,um hier, an dieser geschichtsträchtigen Stelle,das Dokumentationszentrum deutscher Diktaturen zu eröffnen.

I.

Das Gebäude, in dem wir uns befinden, spiegelt wie wenig andere die wechselvolle deutsche Geschichte wider.

Zu Kaisers Zeiten und während der Weimarer Republik bekam die Rechtsprechung in diesem Gebäude einen neuen Rahmen, als ein Amts-, Land- und Schwurgericht mit angegliedertem Gefangenenhaus errichtet wurde.

Gewiss, es war ein hoheitliches Haus,
aber es hat in dieser Zeit auch durchaus Reformen erlebt,
gerade im Bereich des Strafverfahrensrechts.
Und: Es wurdeRechtgesprochen.

Dieser Charakter des Hauses hat sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Einrichtung eines sogenannten Anerben- und Erbgesundheitsgerichts grundlegend geändert.

Nun stand nicht mehr die Rechtsfindung im Vordergrund, sondern die Durchsetzung nationalsozialistischer Rassenideologie.

Auf der Grundlage des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" wurden sogenannte rassisch Minderwertige zwangssterilisiert.

Aber auch politische Gegner des Regimes, vor allem jüdische Bürger und Mitglieder der Bekennenden Kirche, waren Opfer. Sie saßen unter oft unmenschlichen Haftbedingungen im Untersuchungsgefängnis und mussten brutale Verhöre und Folter ertragen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten der sowjetische Geheimdienst und das sowjetische Militärtribunal menschenrechtswidrige Praktiken fort:

In diesem Gebäudekomplex wurden viele Menschen inhaftiert, gefoltert, zum Tode verurteilt oder zu jahrzehntelanger Zwangsarbeit in den GULAG verbannt. Zu den Opfern gehörten Männer und Frauen, die in der Zeit des Nationalsozialismus schuldig geworden waren, aber auch Oppositionelle, die sich der Doktrin und der Herrschaft der neuen Machthaber widersetzten.

In den fünfziger Jahren schließlich ging das Gebäude offiziell in die Rechtsträgerschaft des Ministeriums für Staatssicherheit über.

Wir wissen, was das bedeutet:

Aktionen gegen Andersdenkende und gegen sogenannte bürgerliche Elemente wurden von hier aus eingeleitet.

Menschen wurden kriminalisiert, verfolgt, bekämpft, verletzt.

Schikane, Willkür, Entwürdigung und Unrecht waren Alltag in dem Gefängnistrakt, in dem Menschen aus politischen Gründen inhaftiert waren.

II.

Ich bin dankbar dafür, dass die geplante Dauerausstellung, diese wechselvolle und schicksalsschwere Zeit nachzeichnen will.

Ich finde es gut, dass das nicht abstrakt und allgemein geschieht, sondern ganz praktisch mit unmittelbarem Bezug zur Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns und Schwerins.

Stärker als Zahlen und Statistiken zeigen uns nämlich konkrete Lebensschicksale, welche furchtbaren Folgen eine gleichgeschaltete Justiz hat, wie Justizterror wirkt, dem damals viele Menschen zum Opfer fielen - oft aufgrund völlig abwegiger Verdächtigungen und Denunziation.

Herr Dr. Bernitt, der nach mir sprechen wird, kann uns das gewiss eindrucksvoll und ausführlich für die Zeit zwischen 1945 und 1949 schildern. Er gehört selber zu den Opfern des sowjetischen Militärtribunals.

Und ich bin - wie Sie alle - gespannt darauf, welche Einblicke sich uns nachher bei einem ersten Gang durch die Ausstellung eröffnen, die ja in dem alten Zellentrakt ist.

III.

Die geplante Dauerausstellung gibt uns aber nicht nur die Möglichkeit, Vergangenes zu rekapitulieren. Sie ermöglicht uns auch das Nachdenken darüber, welche Schlüsse wir aus diesen Erfahrungen ziehen müssen.

Die wechselvolle Geschichte des Gebäudes bietet Gelegenheit zu Aufklärung und Erinnerung für jung und alt:

Vor allem die Jungen können hier etwas lernen, weil sie Hilfe bei der Erfassung nationalsozialistischer Gräuel erhalten.

Und wenn hier das schändliche Handeln des sowjetischen Geheimdienstes und des Ministeriums für Staatssicherheit so gegenständlich greifbar wird, dann sollte das ein wirksames Gegenmittel sein zu allen Tendenzen und Neigungen, Unrecht zu verdrängen oder zu verharmlosen.

Gewiss, Nazi-Diktatur und SED-Regime, das ist ganz unvergleichbar, und doch weisen sie Gemeinsamkeiten auf. Für beide gilt:

Was zwischen 1933 und 1945, und dann danach bis 1989 geschah, das waren Anschläge auf die Menschenwürde und auf die elementaren Grundfreiheiten, wie sie unser Grundgesetz jeder und jedem garantiert.

Es gab keine Meinungsfreiheit, es gab keine freie Presse, es gab keine Versammlungsfreiheit und keine Vereinigungsfreiheit.

Die Freiheit der Person war von Staats wegen gefährdet statt gesichert;
staatliches Handeln wurde nicht durch eine unabhängige Justiz kontrolliert.

Beide Systeme enthielten ihren Bürgern Freiheit und demokratische Selbstbestimmung vor.

Daran soll uns das Dokumentationszentrum für die Opfer deutscher Diktaturen erinnern.

Es sollte uns froh stimmen, dass wir seit 1990 nun gemeinsam indiesemStaat und mitdieserVerfassung leben, so verbesserungswürdig auch Manches sein mag.

Die Gemeinsamkeiten der so unterschiedlichen Diktaturen und der Unterschied zu heute - beides ist hier mit Händen zu greifen.

Der Landeszentrale für politische Bildung in Mecklenburg-Vorpommern und ihrer Leiterin, Regine Marquardt, ist es zu danken, dass all das durch das Dokumentationszentrum sichtbar gemacht wird.

Ich wünsche mir, dass wir alle von hier mitnehmen, dass solches Unrecht, wie es hier geschehen ist, und der Geist, der es hervorgebracht hat, nie mehr einkehren in dieses Haus und nie mehr in die Köpfe der Menschen, weder hier, in Deutschland, noch anderswo in der Welt.