Weihnachtsansprache 2002 von Bundespräsident Johannes Rau an die Deutschen im Ausland

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 25. Dezember 2002

Liebe Landsleute in aller Welt,

zu Weihnachten grüße ich Sie aus Berlin, aus dem Schloss Bellevue. Meine Frau und ich wünschen Ihnen von Herzen ein frohes und gesegnetes Fest.

Diese weihnachtlichen Tage sind in Deutschland ja von Weihnachtsbäumen und Kerzenlicht geprägt, von Liedern und Bräuchen, und sie laden so zum Innehalten ein und zur Besinnung. Je nachdem, wo Sie mir zuhören, sind die äußeren Umstände bei Ihnen jetzt ganz anders. Vielleicht ist gerade Sommerwetter, vielleicht feiern die Menschen, mit denen Sie leben, Weihnachten ganz anders, eher laut und ausgelassen, vielleicht leben Sie auch in einem Land, in dem das christliche Weihnachtsfest kaum eine oder gar keine Rolle spielt.

Dennoch werden Sie, so kann ich mir vorstellen, in diesen Tagen an die Heimat denken - weniges verbinden wir Deutsche ja so sehr mit Heimat und Familie wie Weihnachten. Sie werden ein wenig innehalten - Ihre Gedanken werden nach Deutschland gehen, zu den Angehörigen, Freunden und Bekannten oder auch an die Orte, in denen Sie aufgewachsen sind oder an dem Sie zuletzt gelebt haben.

In Deutschland - das haben wir in den letzten Wochen hier alle gespürt - stehen wir vor großen Aufgaben, die jeden einzelnen angehen und jeden betreffen.

Über den richtigen Weg und darüber, wie groß die Schwierigkeiten sind, vor denen wir stehen, gibt es bei uns derzeit eine heftige, und wie ich meine: manchmal zu laute Debatte. Die Probleme sind gewiss da und sie müssen entschieden angepackt werden. Aber gerade viele von Ihnen, die Sie in anderen Teilen der Welt leben, werden wissen, dass Deutschland im Vergleich immer noch gut dasteht.

Ich bin auch fest davon überzeugt, dass wir die Kräfte und die Tugenden nicht über Nacht verloren haben, die uns auch in der Vergangenheit geholfen haben, Schwierigkeiten zu überwinden: Fleiß und Einsatzbereitschaft, Forschergeist und Unternehmersinn, Solidarität und Gemeinsinn, Mut und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

Manche von Ihnen leben in Ländern, die ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme erfolgreich angepackt haben. Sie haben Erfahrungen gemacht, von denen auch wir in Deutschland lernen können.

Ein Thema, das uns in den letzten Jahren immer stärker bewegt, ist das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Immer stärker kommt uns zu Bewusstsein, dass wir alle zusammen in einer Welt leben und dass wir aufeinander angewiesen sind. Immer stärker spüren wir aber auch die Schwierigkeiten, die unterschiedliche kulturelle Wurzeln für das Zusammenleben bedeuten können. Da gibt es gewiss keine einfachen Lösungen.

Eines aber ist gewiss: die direkte Begegnung zwischen Menschen kann Klischees oder Vorurteile am besten abbauen. Wie oft sortieren wir Menschen in ein bestimmtes Raster ein - die Deutschen, die Engländer, die Russen - und erleben dann in der persönlichen Begegnung, dass unsere vorgefassten Meinungen nicht der Wirklichkeit entsprechen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie das von Zeit zu Zeit selber erfahren. Ich bin mir sicher, dass es für das Bild Deutschlands in aller Welt von großer Bedeutung ist, welche persönlichen Erfahrungen die Menschen mit den Deutschen machen, die als Gäste oder Zuwanderer im Ausland leben.

Sie wissen: Bei uns hier in Deutschland leben viele Zuwanderer. Sie kommen aus ganz verschiedenen Ländern zu uns und sie bringen die unterschiedlichsten Voraussetzungen mit, was etwa Bildung, kulturelle Prägung oder Deutschkenntnisse angeht. Was nur wenige wissen: In Deutschland gibt es Tausende von Gruppen und Initiativen, die sich um die Integration von Zuwanderern kümmern, freiwillig und mit großem Engagement. Das hat auch ein Wettbewerb gezeigt, den ich in diesem Jahr ausgeschrieben hatte. 1.300 Projekte und Initiativen haben sich daran beteiligt und haben ihre Arbeit und ihre Ideen vorgestellt. Das ist eine Zahl, die mich freut. Sie korrigiert das schiefe Bild von einem angeblich fremdenfeindlichen Deutschland.

Ein anderes großes Beispiel für konkretes Engagement und Bürgersinn: Sie haben gewiss alle von der großen Flut gehört, die unser Land im Sommer heimgesucht hat. Die Bilder gingen ja um die ganze Welt - und aus der ganzen Welt kamen auch Hilfe und Spenden. Gewiss haben auch viele von Ihnen geholfen. Dafür möchte ich allen ganz herzlich danken. Besonders hat mich bewegt, wie viele Menschen aus allen Gegenden Deutschlands spontan in die Katastrophengebiete gefahren sind und tatkräftig mitgeholfen haben, der schlimmsten Not zu begegnen. Darunter waren sehr viele junge Menschen.

Um Not und Elend zu lindern, um Frieden zu bewahren und Konflikte zu schlichten, sind viele Deutsche in allen Teilen der Welt engagiert. Sie alle grüße ich heute besonders herzlich. Die Aufgaben, denen Sie sich stellen, sind oft nicht bequem, manche sind auch gefährlich. Ob als Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, ob als Mitarbeiter der zivilen Hilfsorganisationen, ob als Entwicklungshelfer oder als Entsandte der Kirchen: Sie alle leisten nicht nur bitter nötige Hilfe vor Ort, Sie alle sind auch Botschafter unseres Landes, Sie alle vermitteln ein positives Bild von Deutschland in der Welt.

Wie kein anderes Fest ist das Weihnachtsfest mit der Hoffnung auf Frieden verbunden. Wir alle wünschen uns den "Frieden auf Erden", von dem die Weihnachtsgeschichte spricht. Umso mehr schmerzt es, immer wieder erfahren zu müssen, wie schrecklich zerrissen die Welt ist. Terror und Krieg, Armut und Hunger bedrohen und zerstören immer wieder das friedliche Zusammenleben der Menschen.

Weihnachten stärkt aber auch - nicht nur für gläubige Christen - immer wieder die Hoffnung auf einen neuen guten Anfang, die Hoffnung darauf, dass das kleinste Licht stärker ist als die Finsternis. Die große Freude, die an Weihnachten nicht nur die Kinder haben, können wir hoffentlich ein Stück weit mitnehmen in das kommende Jahr.

So wünsche ich Ihnen allen, mit den Worten des alten deutschen Weihnachtsliedes, eine fröhliche, selige Weihnachtszeit.